Test Ducati Panigale V4 S - Motorradfahren komplett neu

Test
21.09.2018

Von: Philipp Bednar
Die Ducati Panigale V4 S ist nicht nur für die italienische Marke der Beginn einer neuen Zeitrechnung, sie definiert das Motorradfahren durch ihre elektronischen Helferleins komplett neu. 
Ducati Panigale V4 S
Ducati Panigale V4 S

Ergonomie

Eigentlich sind mir Supersportler ergonomisch viel zu mühsam. Das tolle Vorderradgefühl erkauft man sich durch eine kräftezehrende, nach vorne gestreckte Sitzposition. Toll für ein paar Turns am Ring, vereinzelt auch für die Hausstrecke, aber im Alltag ist es die Hölle. Insofern bin ich überrascht, dass die Panigal V4 S gar nicht sooo grauslich zum Sitzen ist. Die Stummel sind breiter als gedacht, das Sitzkissen sehr straff aber kein Brett. Der Knieschluss ist top, die Beweglichkeit am Bike gut. In Wechselkurven hievt man sich rasch von einer Seite auf die andere. Trotzdem hat man viel Gewicht auf den Handgelenken und der Windschutz ist nicht all zu groß, da das gesamte Cockpit extrem kompakt geschnitten ist. Die Fußrastenposition ist tadellos und sportlich ausgelegt. Eine Fehlkonstruktion ist der Seitenständer, da der Zapfen zum Ausklappen mit dem linken Fuß kaum zu erreichen ist. Ich habe den Seitenständer immer mit der linken Hand ausklappen müssen.

Handling

Ducatis Supersport-Modelle waren nie Handlingwunder. Die Panigale V4 knöpft an die Tradtion an, ist aber leichtfüßiger und gefügiger am Kurveneingang als erwartet. Das liegt sicher auch am radikal-agilen Pirelli Supercorsa-Gummi. Trotzdem braucht es etwas Körpereinsatz und Druck am Lenkerstummel, um die V4 umzulegen. Etwas leichter gelingt es, wenn man die Italienieren am Gas in Drehzahlen über 4500 Touren in den Radius drückt. Einmal umgelegt, kommt die bekannte Ducati-Stabiltät auf. Extrem präzise zirkelt man die rote Panigale durch die Kurven. Korrekturen sind möglich, brauchen aber eindeutige Impulse. Das Feedback der Front ist sehr gut, fast noch besser spricht das Hinterrad mit dem Reiter. Legt man das Gas zu forsch an und der hintere Gummi wandert leicht Richtung Kurvenausgang, spürt man es glasklar im Popometer. So klar, dass man schnell versucht ist, ein paar Powerslides zu produzieren. Bevor das Heck jedoch erstzunehmend auskeilt, regelt die Elektronik. Dazu später mehr. Das Revier der Panigal V4 sind Kurven zwischen 80 km/h und Topspeed. Dort kann sie ihre volle Chassisstärke ausspielen.

Motor / Getriebe / Elektronik 

Das Highlight der Paniga V4 S steckt schon im Namen: Es ist der komplett neuentwickelte Vierzylindermotor in V-Bauform. Mit gegenläufiger Kurbelwelle. Das soll das Handling fördern. Das gleiche Konzept wie man es aus dem MotoGP-Bike kennt. Die Konstruktion verbindet die Vorteile der Vier- und Zweizylinder: bäriges Drehmoment und hohe Spitzenleistung. Aus 1103 Kubik produziert das Biest 214 PS und 124 Newtonmeter Drehmoment. Werte, die viel brutaler sind, als sie sich lesen. Die Gewalt des Triebwerks muss man erfahren haben, um es einordnen zu können. Ein Versuch: Egal wie sportlich man fährt, egal wie mutig man am Gasgriff ist, voll Aufdrehen kann man sich bei der V4 abschminken. Bereits im ersten Antritt schiebt der Apparat so druckvoll vorwärts, dass man hochschalten möchte. Dabei ist man gerade mal im ersten Drehzahldrittel unterwegs. Ab der Mitte wird es arg. Ein kleiner Dreh am Gasgriff und die Panigale hechtet vorwärts und die Zahlen am volldigitalen Farbdisplay springen in Zehnerschritten, wo sonst einzelne Km/h gezählt werden. Dreht man gefühllos ab der Drehzahlmitte am Gasgriff, ist ständig die Regelelektronik im Einsatz. Die Power der Panigale V4 ist der Beginn einer neuen Motorradzeitrechnung. Ich behaupte: Ohne elektronischen Helferleins ist das Motorrad für einen Otto-Normal-Biker nicht zu bändigen. Dazu der Quickshifter mit Blippe - zum kupplungslosen Hoch- und Runterschalten -  funktioniert großartig. Etwas unangenehm ist die etwas ruppige Gasannahme unter 3500 rpm. Die V4 ist halt ein Supersportmotorrad und kein Touringdampfer. Merkt man auch an der Motorcharakteristik. Eigentlich könnte ich noch viel länger über dem Dampf des Motors schwärmen, aber das alleine ist nicht einmal der Clou an der Panigale V4 S. Der wahre Trumpf ist die Elektronik, die die V4 erst fahrbar macht. Vor allem die Traktionskontrolle. Ich war bisher nie ein Fan von Traktionskontrollen, da ich ihnen grundsätzlich nur schwer vertrauen kann. Und mir waren bis dato die meisten zu ruppig, zu forsch beim Eingriff. Bei der Ducati Panigale V4 hatte ich aber den Moment der Erleuchtung. Ich fahre sehr motiviert über meine Hausstrecke. Am Scheitel einer engen 160-Grad-Kurve drehe ich bewusst hart am Gasgriff um die Traktionskontrolle zu spüren. Plötzlich blinkt das Licht der Traktionskontrolle am Dashboard, die Leistung liegt aber noch immer an. Das Vorderrad hebt sich leicht vom Boden und ich fahre nur am Hinterrad einen Bogen aus der Kurve. So, wie man es manchmal in Best-of-Zusammenschnitten von MotoGP- und Superbike-Legenden auf Youtube sieht. Hat alles die Elektronik gemacht. Und zwar so locker, dass ich keine Leistungswegnahme gespürt habe. Ich bin dermaßen begeistert, dass ich es in der nächsten Ecke wieder versuche. Und es klappt erneut. Wahnsinn. Spektakulär. Ein Traum. Ich fühle mich wie Garry McCoy. Nur ohne Rauch vom Hinterreifen. Um es abzukürzen: Ich bin noch nie mit einem Motorrad gefahren, bei dem die Fahrhilfen so ausgereift und feinfühlig eingegriffen haben. Ganz großes Kompliment an Ducati: sauber hinbekommen. 

Fahrwerk

Die Panigale V4 S bietet ein vollelektronisches Öhlinsfahrwerk. Über das Dashboard lässt sich so ziemliches alles an dem Fahrwerk einstellen. Ich gebe zu: Es war mir zu mühsam. Ich bin im Sport, Normal und Race-Modus gefahren. Die Federelemente haben mich jedes mal mehr als überzeugt. Die V4 S ist keine Sänfte, das Fahrwerk ist stets eher straff bis sehr straff. Trotzdem werden Bodenunebenheiten sehr feinfühlig gedämpft. Aber eben immer spürbar, nur nicht negativ. Man spürt den Gullideckel, die Asphaltkante, den Teerstreifen, aber die Panigale bleibt stets auf Kurs und wackelt nicht. Selbst bei harten Bremsmanövern taucht die Sportlerin nicht ungedämpft weg, sondern bietet bis zum leichten Anheben des Hinterrads viel Feedback. Das Fahrwerk ist serienmäßig so gut, dass ich im Test nicht mal anhändernd an die Grenzen kommen konnte. Bevor die Panigale gewackelt hat oder unpräzise wurde, war mein Mut auf der Bremse oder am Kurvenscheitel zu gering. Ich behaupte hier vollmundig: Auf der Straße kann man sie gar nicht an ihre Grenzen bringen. Auf der Rennstecke schon, aber dann fährt man schon auf einem semiprofessionellen Niveau und sammelt haufenweise Pokale in Hobbycups. 

Bremsen

Ducati und Brembo sind schon seit Jahrzehnten Partner und bei der Panigale merkt man einfach, dass das traumhaft funktioniert. Denn obwohl die neuesten Brembo-Monoblock-Bremssättel verbaut sind, ist die Vorderradbremse nicht übermäßig giftig, sondern einfach nur punktgenau und glasklar dosierbar. Ganz tolles Feedback am Bremshebel. Trotzdem ist die Verzögerung extrem. Wer sich traut fest am Hebel zu ziehen, bremst die V4 in kürzester Zeit auf Stillstand. Und wenn das ABS dabei eingegreift, total egal, denn die Regelintervalle sind sehr kurz gehalten. Die Hinterradbremse ist zwar nicht ganz so gut zu dosieren, verzögert aber brav und viel besser als bei manchen Vorgängermodellen. In Summe ist die Bremse auf Racer-Niveau. Für die Rennstrecke könnte man noch etwas bissigere Beläge wählen, mehr braucht es nicht, um die Konkurrenz am Kurveneingang zu biegen.

Aufgefallen

Wie extrem kompakt das gesamte Motorrad und wie unendlich stark der Motor ist. Der Sound stimmt, könnte aber gerne noch etwas bassiger sein. Und: Es gibt viel zu viele technische Details, um sie hier alle aufzuzählen und zu erklären.

Durchgefallen

Der nicht mit dem Fuß ausklappbare Seitenständer. Wie schnell die Panigale V4 S im Hochsommer Temperaturwarnungen ins Cockpit schickt. 

Testurteil Ducati Panigale V4 S, by p.bednar

Mehr Infos zur Ducati Panigale V4 S

Mit freundlicher Unterstützung von TOTAL Austria

Mehr Actionfotos der Testfahrten gibt es auf Instagram: apex_moto_at

Oder folgt uns auf Facebook: Apex-Moto