Stopp dem Verbrauchsschwindel

Diesel
08.10.2014

Auf der Tagung „Motor und Umwelt“ stellte AVL List ein neues Messgerät vor, das die Emissionen eines Autos im Fahrbetrieb exakt erfasst. Ab 2017 wird die neue Messmethode für alle Hersteller zur Pflicht – dann ist Schluss mit unrealistischen Verbrauchs- und Abgaswerten.

Nach dem Vortrag des deutschen Umwelt-Beamten Oliver Eberhardt über geschönte Verbrauchsangaben der Autohersteller lästerte „Motorenpapst“ Hans-Peter Lenz, der als Chairman die Diskussionen leitete, süffisant ins Mikrophon: „Wenn Premiumlimousinen im Prospekt nur drei Liter, in der Realität aber zehn Liter auf 100 Kilometer brauchen, dann ist das doch eine Blamage für unsere ganze Branche!“ Aus dem Auditorium der AVL Tagung „Motor und Umwelt“, in dem zahlreiche internationale Motorenexperten saßen, kam kein Widerspruch, denn das Dilemma ist allseits bekannt. So betragen die Abweichungen des Realverbrauchs vom angegebenen Normverbrauch nach einer Studie des International Council of Clean Transportation (ICCT) im Durchschnitt 25 Prozent, bei manchen Modellen ist die Diskrepanz noch viel größer. Eine Tatsache, die auch vielen Neuwagenkäufern sauer aufstößt, wenn sie deutlich häufiger, als ihnen versprochen wurde, nachtanken müssen.

Die Verdieselung der Flotte

Höchste Zeit also, dass der Neue europäische Fahrzyklus NEFZ, nach dem der Normverbrauch derzeit bestimmt wird, von einer realitätsnäheren Methode abgelöst wird. Diese ist bereits in Vorbereitung, nennt sich WLTP (Worldwide Harmonized Light Vehicles Test Procedures) und soll 2017 eingeführt werden. Gleichzeitig damit kommt die RDE (Real-Driving-Emission) Gesetzgebung, die verlangt, dass die am Prüfstand erhobenen Verbrauchswerte durch Abgasmessungen im Fahrbetrieb ergänzt werden. Oliver Eberhardt vom deutschen Umweltministerium präsentierte in seinem Vortrag die Roadmap: Das erste RDE-Paket mit den neuen Emissionslimits wird bereits im November dieses Jahres vorgestellt, die Abstimmung erfolgt Anfang 2015, die Einführung ist für September 2017 vorgesehen. „Die bisherigen Maßnahmen der Autohersteller zur Verringerung der Emissionen waren nicht umsonst, die Luft ist seit den 90er-Jahren trotz der deutlich höheren Anzahl an Fahrzeugen besser geworden“, sagte Eberhardt. Doch vor allem die Stickoxide liegen immer noch markant über den Grenzwerten, wofür Eberhardt die „Verdieselung“ der Fahrzeugflotte verantwortlich macht. „In Deutschland beträgt der Dieselanteil bereits über 50 Prozent, Tendenz steigend“, konstatiert der Umwelt-Beamte.

On-Board-Abgasmessung

Ein hellgrauer Kunststoffrucksack, auf die Anhängerkupplung gesteckt und über einen Schlauch mit dem Auspuff verbunden, zierte das AVL-Demofahrzeug im Eingangsbereich der Helmut List Halle. AVL Projektmanager Manfred Kogler erklärte, was das von den Grazern entwickelte RDE-Messgerät mit der Bezeichnung AVL M.O.V.E. PEMS iS leistet. „Wir messen damit alle gasförmigen Komponenten im Fahrbetrieb, darunter CO, CO2, NO, NO2, NOX. Ein Zusatzpaket für die Messung der Partikelanzahl ist kurz vor dem Serienstart, ein weiteres Zusatzpaket zur Messung der Partikelmasse wird gerade entwickelt.“ Das nur 50 Kilogramm leichte Messgerät funktioniert mit eigener Bordbatterie im Stand-Alone-Betrieb und beeinflusst dadurch nicht die Messergebnisse, wie dies bei größeren und schwereren Geräten älterer Generationen der Fall war. „Das kompakte Messsystem ist praktisch konkurrenzlos, und mehrere OEMs haben es bereits für ihre Entwicklungsabteilungen gekauft“, freut sich Manfred Kogler.

Steigende Diesel-Komplexität

Angesichts der kommenden verschärften Messmethoden versuchen die Motorenhersteller nun mit Hochdruck, die Stickoxid- und Partikelemissionen des Dieselmotors in den Griff zu bekommen. So gab beispielsweise Stefan Möhn, Entwicklungschef des V6 TDI-Motors bei Audi, einen Überblick über die aktuellen Strategien. Demnach arbeiten die Entwickler derzeit an einer weiteren Verminderung der Reibung im Motor, setzen auf variable Öldruckpumpen und effizientere Turbolader und optimieren das Thermomanagement, unter anderem mit einer getrennten Kühlung von Zylinderkopf und Motorblock. Leichtbau, das Downspeeding der Motordrehzahl mithilfe des Doppelkupplungsgetriebes sowie die Elektrifizierung des Antriebsstranges sollen ebenfalls zu einer Verringerung der Diesel-Emissionen beitragen. Erkauft werden Verbesserungen im einstelligen Prozentbereich allerdings mit einem mittlerweile gigantischen Aufwand an Sensorik und Regelelektronik. „Vor zehn Jahren hatten die Diesel-Steuergeräte noch rund 6.000 Regelparameter, heute sind es über 54.000“, so Möhn.  Dennoch waren sich die Fachleute darin einig, dass der Verbrennungsmotor noch viele Jahre lang der dominierende Antrieb des Individualverkehrs bleiben werde.