Elektroautos in der Werkstatt

Hochvolttechnik
17.05.2017

Deniz Kartal kennt als einer der wenigen Hochvolttechniker in Österreich die Hochvoltsysteme der meisten derzeit verfügbaren Elektroautomodelle. Im Interview mit der KFZ Wirtschaft erklärt er, wie sich gefährliche Situationen in der Werkstatt vermeiden lassen.
Deniz Kartal, Hochvolttechniker
Deniz Kartal, Hochvolttechniker

KFZ Wirtschaft: Herr Kartal, als Elektrotechniker, Trainer und Geschäftsführer der Evalus GmbH für Arbeitssicherheit und Gesundheitsschutz haben Sie bereits viel Erfahrung mit zahlreichen Elektroautomodellen gesammelt. Sind die Fahrzeuge ähnlich aufgebaut, oder gibt es große Unterschiede?

Deniz Kartal: Ich beschäftige mich seit rund 15 Jahren mit der Technologie, die in den heutigen elektrisch angetriebenen Fahrzeugen verbaut ist, und habe mir die erforderlichen Kenntnisse für die Modelle von Honda, Hyundai, Iveco, Lexus, Mercedes, Mitsubishi, Nissan, Renault, Toyota, Tesla, Volvo und Volkswagen angeeignet. Es gibt verschiedene Methoden, wie die elektrischen Fahrzeuge spannungsfrei geschaltet werden. Während bei manchen Modellen ein mechanischer Service-Plug eingebaut ist, der beim Abziehen die Traktionsbatterie in zwei Hälften teilt, sodass keine Spannung mehr anliegen kann, löst der Service-Plug bei anderen Modellen die elektrische Anspeisung der Hochvoltschützen, also der elektromechanischen Schalter, welche die Batterie mit dem System verbinden. Bei der dritten Variante gibt es überhaupt keinen mechanischen Service-Plug, da wird das System rein elektronisch mittels Diagnosegerät heruntergefahren.

Welche Vor- und Nachteile haben die verschiedenen Systeme?
Die Teilung der Batterie mittels Service-Plug ist die sicherste Methode, da der Stromkreis des Hochvoltsystems danach garantiert in zwei Hälften geteilt ist. Das Problem ist, dass in manchen Fällen beim Abziehen ein gefährlicher Störlichtbogen entstehen kann. Bei der zweiten Methode trennt der Service-Plug das 12-Volt-Bordnetz von den Hochvoltschützen, die sich innerhalb der Traktionsbatterie befinden. Dabei kann zwar kein Lichtbogen entstehen, doch die Hochvoltschützen können kleben bleiben, und das System bleibt unter Spannung. Jedes elektrische Fahrzeug muss daher nach dem Freischalten noch einmal auf Spannungsfreiheit geprüft werden. Das gilt auch für die dritte Methode – das Herunterfahren mittels Diagnosegerät.

Wie kann man überprüfen, ob ein Fahrzeug nach den vorgeschriebenen Maßnahmen tatsächlich spannungsfrei ist?
Jedes elektrische Fahrzeug hat bestimmte Stellen, die für die Überprüfung der Spannungsfreiheit vorgesehen sind. Bei manchen wird mit dem Spannungsprüfer direkt an der Traktionsbatterie gemessen, bei manchen am Inverter und bei anderen wieder am Hochvoltverteiler. Im Hochvolt- Seminar HV-2 in der Automotive Akademie lernen die Teilnehmer, wie die unterschiedlichen Fahrzeuge mit Hochvoltsystemen spannungsfrei zu schalten sind, welche Maßnahmen gegen das Wiedereinschalten anzuwenden sind und wie die Spannungsfreiheit festgestellt wird. Außerdem lernen sie den Aufbau, die Funktionsweise des Hochvoltsystems und die Verknüpfung zum konventionellen Bordnetz kennen. Beim darauf aufbauenden Hochvolt-Seminar HV-3 erwerben sie die notwendigen Kenntnisse für Arbeiten unter Spannung an Fahrzeugen mit Hochvoltsystemen. Dazu gehört auch das Wissen, wie die Organisation und Kommunikation bei Arbeiten unter Spannung zu regeln sind und wie selbstständig Arbeitsanweisungen erstellt werden.

Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit, dass es zu einem Hochspannungsunfall in einer Werkstatt kommt?
Die Wahrscheinlichkeit bei eigensicheren Fahrzeugen ist äußerst gering, da die elektrischen Fahrzeuge mit einer Sicherheitskette ausgestattet sind. Nur wenn mehrere Sicherheitselemente gleichzeitig versagen, kommt es zu einer Gefährdung. Daher sind die meisten elektrischen Fahrzeuge etwa drei- bis viermal sicherer als viele elektrische Anlagen in Haushalten. Nachdem man den elektrischen Strom aber weder sehen noch hören oder riechen kann, müssen die Kfz-Techniker im sicheren Umgang mit Hochvoltsystemen sensibilisiert werden. Die größte Gefahr liegt in der Unsicherheit, die Stress erzeugt, und unter Stress passieren häufiger Fehler. Speziell bei havarierten Fahrzeugen können im schlimmsten Fall Spannungen von mehr als 400 Volt anliegen.

Statistisch betrachtet wird es wahrscheinlich 2018 den ersten Unfall bei Arbeiten an Hochvoltsystemen in einer Werkstatt geben.“ Deniz Kartal, evalus gmbh

Ist es in Österreich bisher schon einmal zu einem Stromunfall bei Arbeiten an einem Elektroauto gekommen?
Nein, bisher nicht. Rein statistisch betrachtet ist es aber sehr wahrscheinlich, dass es 2018 den ersten Unfall bei Arbeiten an Hochvoltsystemen in einer Autowerkstatt geben wird. Wir sind daher bemüht, durch Weiterbildung das Schlimmste zu verhindern.

Wie stark ist das Interesse der Kfz-Techniker in Österreich, sich auf dem Gebiet der Hochvolttechnik weiterzubilden?
Vor allem junge Kfz-Techniker sind sehr neugierig und wollen am liebsten gleich alle drei Module hintereinander absolvieren. Sie haben erkannt, dass man für den Status einer Elektrofachkraft für Hochvoltsysteme auch Erfahrung sammeln und diese auch nachweislich dokumentieren muss. Es melden sich auch immer mehr Lehrlinge für Hochvoltschulungen an. Dann gibt es die Gruppe der Skeptiker, die am liebsten nichts mit elektrischen Fahrzeugen zu tun haben möchte. Aus meiner Sicht eine falsche Einstellung, denn der Point of no Return ist längst überschritten und wir rechnen in den kommenden Jahren mit einem starken Wachstum der Elektromobilität.

Die Automotive Akademie des Österreichischen Wirtschaftsverlages bietet eine Hochvolt-Ausbildung in drei Modulen mit Referent Deniz Kartal an. Nähere Infos: www.automotive-akademie.at/seminare/hochvoltausbildung