„Es ist fünf nach zwölf“

12.11.2015

Von: Redaktion KFZ Wirtschaft
Im Exklusivinterview mit der KFZ Wirtschaft spricht Angelika Kresch, CEO der Remus-Sebring-Gruppe, über das 25-jährige Firmenjubiläum, den Wirtschaftsstandort Österreich, die Versäumnisse der Politik und wohin die Reise für den Weltmarktführer für Sportauspuffanlage aus Bärnbach noch gehen wird. 
Angelika Kresch, CEO Remus-Sebring-Gruppe

KFZ Wirtschaft: Frau Kresch, darf man Remus als Weltmarktführer bezeichnen?
Angelika Kresch: Ich spreche ungern von uns in Superlativen. Wir sind ein Nischenplayer und darin – so sagt man – sind wir Weltmarktführer. Wir haben mehrere Geschäftsfelder: Bei Remus ist es der Aftersales-Bereich und OEM-Business im Motorradbereich. Bei Sebring ist der Kern das OEM-Geschäft im Pkw-Bereich. Wir orientieren uns im OEM-Bereich jedoch im High-End-Segment, unsere Kunden sind beispielsweise Mercedes-Benz, Porsche, McLaren, Bentley, Aston Martin, Lamborghini.

Der Weg dorthin war sicher nicht immer ein leichter.
Nein, ganz und gar nicht. Im Herbst 2008 hat uns die Weltwirtschaftskrise voll erwischt. Von Freitag bis Montag - an einem Wochenende - sind unsere Aufträge um 70 Prozent eingebrochen. Zuerst dachte unsere IT-Abteilung, es würde sich um einen Systemfehler handeln, aber als wir dann unsere Kunden telefonisch kontaktiert haben, war klar, dass es sich wirklich um Stornierungen gehandelt hat. Das war absolut unvorhersehbar und existenzgefährdend. Glücklicherweise konnten wir uns durch dieses Tief durchkämpfen. Ich sagte damals, dass die Erholungsphase bis 2014 dauern wird. Leider sollte ich beinahe Recht behalten: Erst 2013 war wieder ein halbwegs gutes Jahr, es hat also gedauert bis wir diesen großen Brocken geschluckt und ganz verdaut hatten.

Remus feiert heuer 25-jähriges Firmenjubiläum. Hätten Sie 1990 gedacht, dass Sie heute stehen, wo Sie sind?
Nein. Unser Businessmodell war ein anderes. Wir planten mit maximal 80 Mitarbeitern. Wir wollten einen kleinen, feinen Betrieb auf Familienbasis haben, wo jeder noch jeden kennt. Ich habe damals noch groß posaunt: Niemals eine dreistellige Mitarbeiterzahl. Aber erstens kommt es anders und zweitens als man denkt.

Sie beschäftigen derzeit rund 640 Mitarbeiter, sind ein gewichtiger Player im automobilen Zuliefersektor und eine erfolgreiche Unternehmerin. Viele heimische Unternehmen klagen über den Wirtschaftsstandort Österreich. Was läuft schief?
Seit der Wirtschaftskrise 2009 hat Österreich viel falsch gemacht, nämlich durch das „Kopf-in-den-Sand-stecken“ und nichts verändern wollen. Die Politik bewegt sich überhaupt nicht. Wir fallen in allen Rankings zurück, verlieren zunehmen den Anschluss und machen trotzdem nichts. Wenn man sich anschaut, wie viele namhafte Industriebetriebe ihre Produktionsstandorte von Österreich abziehen, dann stellt man fest, dass es bereits fünf nach zwölf ist. Und wenn dann die Lohnnebenkosten um 0,1 Prozent (Anmerkung: In der Printausgabe der KFZ Wirtschaft 11/2015 stand „ein Prozent“, richtig ist aber „0,1 Prozent wie hier im Interview) gesenkt werden, dann kann ich nicht einmal schmunzeln. Wir sprechen da von sieben oder acht Euro pro Arbeitnehmer. Die Lohnstückkosten, die in Österreich aufgerufen werden, sind international nicht wettbewerbsfähig. Das zahlt niemand. Deswegen haben auch wir uns dazu entschlossen, viel Geld in die Hand zu nehmen und ein Werk in Bosnien zu eröffnen, um dort lohnintensive Teile zu fertigen. Wir haben einen Exportanteil von 95 Prozent. Das hat nichts mit Gewinnmaximierung zu tun, das ist einfach notwendig um wettbewerbsfähig zu sein. Ich wäre liebend gerne gänzlich in Österreich geblieben, aber es ist im internationalen Wettbewerb einfach nicht machbar.

In Bosnien freut man sich sicher, wenn ein Unternehmen wie Remus kommt …
In Bosnien wird man ganz anders wahrgenommen, da bemüht sich die Politik um Unternehmen. Es gibt zwar kein Geld für Förderungen, aber man tut auf administrativer Basis sein Bestes und gibt entsprechend Hilfestellung. Das ist einfach eine andere Art der Wertschätzung.

Gibt es Qualitätsunterschiede zwischen der bosnischen und der österreichischen Produktion?
Nein, auf keinen Fall. Wie gesagt, wir produzieren vorerst nur lohnintensive Teile in Bosnien. Die Mitarbeiter in Bosnien haben wir sehr gut ausgebildet und sie sind auch sehr lernwillig. Wir haben dort sehr gute Fachkräfte.

Ist das nur ein Versäumnis der Politik oder sind bis zu einem gewissen Grad auch die abwandernden Unternehmen schuld, die den Standort links liegen lassen?
Na ja, die Politik muss die Rahmenbedingungen schaffen. Wenn die nicht mehr stimmen, muss man als Unternehmer eben die Konsequenzen ziehen. Und wenn wir uns seit 2009 in den Lohnstückkosten gegenüber Deutschland so massiv verschlechtert haben, dann ist das nicht die Schuld der Unternehmer, sondern die der Politik. Und ich weiß schon, dass der österreichische Standort nicht mit Asien konkurrieren kann. Aber wenn ich mit Deutschland nicht mehr mit kann, dann brennt die Hütte. Und die Politik stellt sich immer noch hin und sagt, wir seien Exportweltmeister und wir seien so toll, ohne die Zeichen der Zeit zu erkennen. Oder die Politik will sie einfach nicht erkennen - das weiß ich nicht.

Wird diese Misere dem Wirtschaftsstandort Österreich in Zukunft auf den Kopf fallen? Ist der Österreicher vielleicht schon zu satt?
Wir sind bereits mittendrin. Die Arbeitslosenrate steigt und steigt. Aber es ist egal, machen wir halt noch ein paar Schulden mehr, es spielt ja keine Rolle. Irgendwer wird es schon bezahlen. Oder auch nicht. Wir Österreicher sind saturiert und der gelernte Österreicher glaubt ja sowieso, dass der Staat für ihn sorgt. Läuft es mal anders, ist er überrascht. Das ist nicht gut für die Gesellschaft. Gleichzeitig fehlen uns Fachkräfte wie Ingenieure, Mechatroniker und Schweißer.

Ist es in den letzten 25 Jahren in Österreich schwieriger geworden gute Fachkräfte zu finden, oder war das auch in den 1990ern schon ein Problem? Wie könnte man Abhilfe schaffen?
Das war auch damals schon ein Problem. Aber es wird immer ärger, teilweise spielt da natürlich auch die demografische Entwicklung eine Rolle. Ich könnte jedenfalls sofort 50 Marketingleute und 100 Buchhalter einstellen. Im Bereich der kaufmännischen Berufe  und im Marketing gibt es Leute ohne Ende und auch ungelernte Kräfte würden wir genug bekommen. Aber an qualifizierten Technikern herrscht ein echter Mangel. Wir vonseiten der Industrie in der Steiermark, deren Spartenobfrau ich bin, bemühen uns vermehrt Mädchen in die technischen Berufe zu bringen. Und dass gelingt uns auch teilweise, für meine Begriffe jedoch noch zu wenig. Zum anderen versuchen wir auch AHS-Maturanten und Maturantinnen anzusprechen, ob sie nicht nach der Schule eine Lehre z. B. als Mechatroniker machen wollen. Dabei profitieren sie einerseits von einer verkürzten Lehrzeit und andererseits von einer höheren Lehrlingsentschädigung.

Wie kommt dieses Angebot an?
Momentan ist es noch schwierig, weil wir erst ganz am Anfang stehen. Wir gehen in die Schulen und präsentieren das Modell, haben derzeit aber noch keine fertigen, auf diesem Weg ausgebildeten, Fachkräfte. Sobald die Ersten ihre Lehrzeit beendet haben und damit als Best-Practice-Beispiele dienen können, wird es sicher leichter, weil dann die Jugend zur Jugend spricht. Daher müssen wir einfach weiterarbeiten, bis der Stein so richtig ins Rollen kommt.

Bildet Remus selbst auch Lehrlinge aus?
Ja, selbstverständlich. Dabei fällt uns auf, wie sehr unser Bildungssystem leider wirklich versagt. Vor 25 Jahren hatten wir einen Test für unsere Lehrlinge, den wir mittlerweile an das gesunkene Niveau anpassen mussten, um ihn schaffbar zu machen. Sonst hätten wir nur Frustration geerntet. Dabei haben wir damals aber auch keine superschwierigen Fragen gestellt. Unsere Gesellschaft muss und sollte danach trachten, dass Bildung das höchste Gut ist und dabei nicht gespart wird. Wir fallen im internationalen Vergleich immer mehr zurück. Was macht die Politik dagegen? Nichts. Wir schlafen und schauen zu.

Und wie sieht es mit der Weiterbildung im Unternehmen aus?
Wir bemühen uns, Weiterbildungsmöglichkeiten anzubieten. Wahrscheinlich wird es in Zukunft so sein, dass man teilweise auch universitäre Ausbildungen von Mitarbeitern finanziell unterstützen muss. Wir machen das bereits partiell, eben mit einer entsprechenden Bindung des Mitarbeiters an das Unternehmen. Das ist aber natürlich nur möglich, wenn jemand die zeitlichen Ressourcen dazu hat. Personen mit Familien können diese Zeit nur schwer aufbringen, leichter geht das bei den jüngeren Mitarbeitern.

Zum Thema Forschung und Entwicklung: Bei Remus sitzt die R&D-Abteilung nach wie vor noch in Österreich, oder?
Ja, für uns ist eine Abwanderung in diesem Bereich auch überhaupt kein Thema, sie ist aber generell ein Problem. In der Steiermark ist Forschung und Entwicklung sehr wichtig und macht vier Prozent des BIP aus – ein sehr guter Wert. Es ist jedoch problematisch für einen Standort, wenn die Produktion ausgelagert wird. Ist diese einmal weg, dann wandert auch die Forschungs- und Entwicklungsabteilung leichter ab, da diese beiden Sparten eng miteinander verwoben sind. Daher ist meine große Sorge, dass wir die R&D-Abteilungen auch zunehmend verlieren werden. Und vom gegenseitigen Haareschneiden werden wir nicht leben können.

Kommen wir zurück zum Auto. Im Zuge des sogenannten Abgasskandals heißt es in deutschen Medien, dass die Zulieferer das ausbaden werden. Wie sehen Sie das?
Uns betrifft es nicht, da wir Sportauspuffanlagen für Modelle liefern, die davon nicht betroffen sind. Allgemein glaube ich nicht, dass man die Zulieferer noch weiter im Preis drücken kann, da die sicherlich schon beinhart kalkuliert haben.

Stichwort Elektromobilität. Wird Remus auch in 30 Jahren noch Sportauspuffanlagen produzieren?
Wir haben für Elektrofahrzeuge ein Soundsystem entwickelt und wir freuen uns schon, wenn es mehr Elektromobilität gibt. Im Moment ist die Anzahl der E-Fahrzeuge noch bescheiden. Ich denke, in fünf bis zehn Jahren werden auch wir einiges an Umsätzen mit E-Fahrzeugen machen, aber der Benzin- und Dieselmotor wird so schnell nicht von den Straßen dieser Welt verschwinden, weil das rein logistisch gar nicht möglich ist. In zehn, 15 Jahren wird es ein Nebeneinander geben, aber wie uns auch unsere Kunden sagen, wird der Benzinmotor nicht verschwinden. Trotzdem arbeiten wir weiter an entsprechenden Soundsystemen, jedoch nicht mit höchster Priorität.

Studien belegen, dass das Interesse fürs Auto bei den Jungen immer geringer wird. Kann man dieser Klientel überhaupt noch einen Sportauspuff verkaufen?
Na ja, das hat sich schon gedreht zu den 1990er-Jahren, das ist ganz klar, aber es kommt auch auf die Zielgruppe an. Gerade im Motorradbereich kommen noch die Mid-Ager hinzu, die sich jetzt die Motorräder kaufen und mit allem Zubehör aufrüsten das es gibt, weil sie es sich in der Jugend nicht leisten konnten. Und der Anspruch an einen Sportauspuff hat sich seit den 80er und 90ern geändert. Und je strenger die Gesetze, sprich je leiser die Fahrzeuge sein müssen, desto mehr reflektiert der Endverbraucher darauf, dass er etwas hört. Ein Fahrzeug wird immer auch mit Sound verbunden werden. Das ist gut für uns. Die Fahrzeuganzahl, die  an die Jungen verkauft wird, hat natürlich abgenommen, völlig richtig. Aber prozentuell hat sich an unserer Zielgruppe nichts verändert. Die Gesamtzahl im mitteleuropäischen Raum hat abgenommen. Daher legen wir unseren Fokus im Aftersales-Bereich hauptsächlich auf die USA und Asien.

Wie kommt Remus dort an?
Sehr gut. Speziell in China. Wobei diese Märkte unsere europäischen Vorschriften gar nicht kennen. Die wollen nicht nur Sound, die wollen Sound plus. Beide Märkte sind sehr gut für uns.

Der Motorradmarkt ist sehr umkämpft, es gibt viele Anbieter für Auspuffanlagen. Gefühlt gibt es beim Auto auch immer mehr, gerade im preisgünstigen Segment. Wie lautet hier die Remus-Strategie?
Wir bieten sehr hohe Qualität zu einem sehr guten Preis und davon werden wir auch nicht abrücken. Wir werden keine Billigschiene machen. Das wäre nicht gut für die Marke und würde auch nicht unserem Geschäftsmodell entsprechen.

Kann Remus in Zukunft noch weiter wachsen?
Ja, auf alle Fälle. Wir haben sehr viele und sehr gute Expansionsmöglichkeiten und diese werden wir Stück für Stück in Angriff nehmen.

Zum Abschluss würde ich Sie gerne fragen, wie Sie sich die Remus-Sebring-Gruppe in 20, 30 Jahren vorstellen. Wer wird das Unternehmen dann führen? Ihre Kinder? Wird es Ihnen schwer fallen loszulassen?
Die Kinder sind schon länger im Unternehmen und machen einen sehr guten Job. Ich hatte mir nicht erwartet, dass das so friktionsfrei abläuft. Mein Mann und ich sind dabei Stück für Stück abzugeben und wir werden uns zu gegebener Zeit dann auch zurückziehen. Wehmut ist aber keine dabei, vielmehr dominiert die große Freude darüber, dass die Kinder das so gut machen. Es funktioniert wohl deswegen so gut, weil einerseits jeder sein getrenntes Aufgabengebiet hat und es keine Überschneidungen gibt und wir andererseits keinen Druck haben, weshalb dieser Prozess fließend passieren kann.