Interview mit dem E-Mobilitäts-Sachverständigen Rudolf Mörk-Mörkenstein

REPARATUREN UND SERVICEARBEITEN AN ELEKTROAUTOS bergen im Vergleich mit Arbeiten an Benzinern oder Dieselfahrzeugen kein höheres Risiko für Kfz-Techniker – vorausgesetzt, diese haben eine gründliche Schulung absolviert, erklärt der E-Mobilitätssachverständige Rudolf Mörk-Mörkenstein im Interview mit der KFZ Wirtschaft.
Rudolf Mörk-Mörkenstein ist Ziviltechniker, Sachverständiger und Ingenieurkonsulent für Elektrotechnik. Als Geschäftsführer des Institutes für Elektrotechnik und Sicherheitswesen berät er Industriebetriebe und Werkstätten im sicheren Umgang mit Hochvoltsystemen.

KFZ Wirtschaft: Herr Mörk-Mörkenstein, Sie haben sich als gerichtlich beeideter Sachverständiger für Elektrotechnik auf die Elektromobilität spezialisiert. Welche Gefahren bringt die neue Antriebstechnologie für die Werkstätten mit sich?

Rudolf Mörk-Mörkenstein: Bei einem massiv beschädigten Fahrzeug können an blanken Kabeln oder Metallteilen bis zu 500 Volt Spannung anliegen – wenn da jemand mit einem herkömmlichen blanken Schraubenzieher abrutscht, war’s das für ihn. Und zieht eine Batterie mit einem Energiegehalt von 40 Kilowattstunden einen Kurzschluss, brennt der Lichtbogen so lange, bis der Speicher leer ist. Das sind allerdings Extremfälle, die nur bei eklatanten Fehlhandlungen entstehen.

Wie kann eine Werkstatt derartigen Horrorszenarien vorbeugen?

Die Importeure von Elektrofahrzeugen bieten in Österreich wirklich ausgezeichnete Schulungen an, die bestens in die Organisationen eingetaktet sind. Jeder Werkstattmitarbeiter muss eine zumindest einwöchige Schulung absolvieren, damit er elektrische Arbeiten direkt am Hochvoltsystem durchführen darf.

Welche Qualifikationen werden für Arbeiten an Elektroautos benötigt?

Nach der ÖVE-Richtlinie, die das sichere Arbeiten an Fahrzeugen mit Hochvoltsystemen regelt, gibt es drei Ausbildungsstufen. Die erste Stufe lässt sich mit „Hände weg von Orange!“ beschreiben, denn alle Strom führenden Teile sind mit oranger Farbe markiert. Bei dieser Grundausbildung lernen die Kfz-Techniker, wo ihre Handlungsgrenzen sind. Erst dann dürfen sie Räder wechseln, Bremsklötze tauschen, also rein mechanische Arbeiten erledigen.

Wann darf man am Elektroantrieb selbst Hand anlegen?

Nach der zweiten Ausbildungsstufe darf man das Fahrzeug freischalten und elektrisch absichern, damit man gefahrlos an den sonst stromführenden Teilen arbeiten kann. Nach einem Theorieteil absolviert man eine Reihe praktischer Übungen am konkreten Fahrzeug. Diese Ausbildung zur Elektrofachkraft muss für jedes einzelne Elektroautomodell absolviert werden, da die Fahrzeuge sehr unterschiedlich aufgebaut sind. Eine Elektrofachkraft für einen Renault Zoe darf also nicht selbstständig am Hochvoltsystem eines BMW i3 arbeiten. Erst nach Absolvierung einer sehr umfangreichen dritten Ausbildungsstufe darf man an freiliegenden stromführenden Teilen unter Spannung arbeiten. Dabei lernt man, selbstständig Gefahren zu erkennen, welche Ausrüstung benötigt wird und welche Schutzmaßnahmen unbedingt einzuhalten sind.

Ist dieser beträchtliche Aufwand für die Ausbildung zur Elektrofachkraft angesichts der wachsenden Anzahl an Elektroautos für kleinere Betriebe überhaupt zu schaffen?

Derzeit stellen die Importeure Teams von sogenannten „flying doctors“ oder „second level supporters“ bereit, die in die Markenwerkstätten kommen und besonders heikle Fälle übernehmen. Es gibt aber auch bereits einzelne freie Werkstätten, die sich auf Elektroautos spezialisieren und die aufwendige Ausbildung auf sich nehmen. Derzeit besetzen sie zwar noch eine Nische, doch die Elektromobilität wird meiner Meinung nach schneller Verbreitung finden, als man heute glaubt. Der nächste Technologiesprung wird kostengünstigere Batterien mit 400 bis 500 Kilometer realer Reichweite bringen – dann ist der Boom nicht mehr aufzuhalten. Besonders jungen Kfz-Technikern, die ihre berufliche Zukunft absichern wollen, rate ich zur Weiterbildung auf diesem Gebiet.

„Die Importeure von Elektrofahrzeugen bieten in Österreich wirklich ausgezeichnete Schulungen an.“ RUDOLF MÖRK-MÖRKENSTEIN

Die unsichtbaren Gefahren der Hochvolttechnik rufen sowohl bei manchen Einsatzkräften der Feuerwehr als auch bei vielen Kfz-Technikern Ängste vor lebensgefährlichen Stromschlägen hervor. Sind diese Ängste berechtigt?

Keineswegs, denn die modernen Elektroautos sind mit jeweils fünf unterschiedlichen elektrotechnischen Sicherheitssystemen ausgestattet, die alle gleichzeitig versagen müssten, damit die Gefahr eines Stromschlages für die Feuerwehr besteht. Sowohl der Crashsensor als auch der Leckstromsensor sorgen dafür, dass die elektrische Anlage im Falle eines Aufpralls sofort abgeschaltet wird. Ein Restrisiko bleibt natürlich bestehen, doch das ist auch nicht größer als die Brandgefahr des Benzintanks bei einem Auto mit Verbrennungsmotor. Stellen Sie sich vor, wir wären die letzten 100 Jahre elektrisch gefahren und jetzt käme jemand auf die Idee, Autos mit Benzin betreiben zu wollen – man würde ihn als Spinner bezeichnen und seine Idee als viel zu gefährlich abtun!

Fahren Sie selbst ein Elektroauto?

Ich habe mir vor drei Jahren einen BMW i3 gekauft und absolviere seither 90 Prozent meiner Wege rein elektrisch. Ich bin begeistert und werde sicher nicht mehr auf einen Verbrennungsmotor umsteigen.