Lenken war gestern

Technik
17.07.2014

Die Entwicklung autonomer Fahrzeuge macht derzeit große Fortschritte, die ersten Modelle sind bereits auf öffentlichen Straßen unterwegs. Österreichische Techniker sind an der Entwicklung der „Roboterautos“ maßgeblich beteiligt.

Wer seinen Sommerurlaub heuer in Schweden verbringt, hat gute Chancen, einem „Geisterauto“ zu begegnen. Doch keine Angst: Im Unterschied zum berüchtigten Geisterfahrer - einem zumeist verwirrten Lenker, der die falsche Autobahnauffahrt genommen hat - halten sich die von elektronischen Autopiloten gesteuerten Volvos sogar besser als jeder Fahrer aus Fleisch und Blut an die herrschenden Verkehrsregeln. 100 Prototypen auf Basis des Volvo S60 sind derzeit im Rahmen des ambitionierten Projektes „Drive Me“ rund um die schwedische Metropole Göteborg im Alltagsverkehr unterwegs. Sie können selbstständig die richtige Fahrspur halten, passen ihre Geschwindigkeit den Speed-Limits an und fädeln sich ohne Eingriff des Lenkers in den rollenden Verkehr ein. Sowohl die Göteborger Stadtregierung als auch die schwedischen Verkehrsbehörden unterstützen dieses weltweit einzigartige Pilotprojekt, und 2017 will Volvo die ersten autonomen Fahrzeuge auf Basis seines SUV-Modells XC90 an Kunden ausliefern.

Fahren und Fühlen

Auch am heurigen Wiener Motorensymposium waren die Geisterautos heiß diskutiertes Thema, bietet doch die Entmündigung des Fahrers durch einen Autopiloten die große Chance, sowohl den Spritverbrauch als auch die Abgasemissionen der Verbrennungsmotoren drastisch zu senken. Verbrauchstreiber wie der unbeherrschte Gasfuß oder das zu späte Hochschalten lassen sich damit ebenso ausschalten wie die sozial unerwünschten Verhaltensweisen Kavaliersstart, Drängeln oder Schleichen auf der Überholspur. „Fast alle Fahrzeughersteller beschäftigen sich heute mit dem autonomen oder zumindest teilautonomen Fahren“, erklärt Robert Fischer, Geschäftsführer Engineering and Technology bei AVL List. Auch das Grazer Prüftechnikunternehmen mischt bei der Entwicklung kräftig mit. Die AVL-Software „Drive“ ermöglicht den Autoherstellern, neben den technischen Rahmenbedingungen auch das Erlebnis der Fortbewegung in einem Geisterauto zu gestalten, indem sie das Fühlen, Hören und Sehen der Passagiere in Messgrößen verwandelt. „Schließlich ist es ein wichtiges Entwicklungsziel, den Insassen eines autonomen Fahrzeuges ein angenehmes und sicheres Gefühl zu vermitteln“, sagt Robert Fischer.  

Hype und Realität

Vor wenigen Wochen geisterte das Bild eines Ei-förmigen Zweisitzers mit auf dem Dach montiertem Kameraturm durch das Internet. Technologiekonzern Google stellte damit seinen Prototyp eines autonomen Fahrzeuges vor, das weder über ein Lenkrad noch über Gaspedal oder Bremse verfügt. Dem Fahrer stehen nur drei Knöpfe für die einfachsten Steuerbefehle zur Verfügung: Starten, einparken und Not-Stopp. Die Höchstgeschwindigkeit bei dem Versuchsfahrzeug ist auf 40 km/h beschränkt, ein rotierender 360-Grad-Laser auf dem Dach tastet gemeinsam mit weiteren Positions- und Orientierungssensoren laufend die Umgebung ab. Christopher Urmson, Projektleiter bei Google, kündigte in einem Blog-Eintrag einen Feldversuch mit 100 selbstfahrenden Testautos an. Seiner Ansicht nach sind die computergesteuerten Fahrzeuge sicherer als von Menschenhand geführte Autos, da sie weder das Problem toter Winkel noch Müdigkeit oder Ablenkung kennen. Eine marktreife Version des selbstfahrenden Autos, das Google gemeinsam mit Industriepartnern entwickelt, wird laut Urmson aber noch einige Jahre auf sich warten lassen.

Peter Seipel: Autonom in die Werkstatt

Je einfacher und sicherer das Autofahren für Lenker und Passagiere wird, umso komplexer werden naturgemäß die technischen Systeme, welche die Fahrzeuge auf dem schnellsten Weg von A nach B steuern. So müssen sich die Werkstätten laufend mit neuen Komponenten vertraut machen, die regelmäßig überprüft, gewartet und gegebenenfalls ausgetauscht gehören. Im Technologiekonzern Bosch arbeiten beispielsweise rund 5.000 Ingenieure an der Entwicklung von Sicherheits- und Assistenzsystemen, die das automatisierte Fahren erst möglich machen. Und Zulieferer TRW entwickelt derzeit die nächste Generation von Videokameras und Radarsensoren, die sowohl feste als auch bewegte Hindernisse zuverlässig erkennen können und den elektronischen Assistenten für Spurhaltung, Spurwechsel sowie Abstands- und Geschwindigkeitsregelung die nötigen Informationen liefern. Die Werkstätten wird’s freuen, denn mit dem Grad der Komplexität eines Fahrzeuges steigt auch der damit verbundene Reparaturaufwand. Doch abgesehen von allen nüchternen Marktbetrachtungen ist das erklärte Ziel der neuen Fahrzeugautonomie ein durchaus ehrenhaftes: Spätestens 2020 sollen Verkehrsunfälle mit Verletzten und Todesopfern endgültig der Vergangenheit angehören.