Test Ducati Multistrada 1260 S - Frontalangriff auf die Kuh

Test
19.09.2018

Von: Philipp Bednar
Ducati schärft sein Touringeisen Multistrada nach und bringt ein Hightech-Bike mit knapp 160 PS und allen Elektronik-Goodies, die man sich nur wünschen kann. Wer macht das Rennen, BMW oder Ducati?

Ergonomie

Im Sattel der Ducati Multistrada 1260S sitzt man überraschend tief. Der Tank baut sehr breit, der Lenker noch breiter. Das mit einem Handgriff in der Höhe verstellbare Windschild bietet einen guten bis sehr guten Windschutz (je nach Fahrergröße). Der Sattel ist bequem, schlanker um den Schritt, deutlich breiter unterm Hintern. Zum Soziuskissen ist ordentlich Platz. Die Fußrasten sind komfortabel positioniert und hoch genug, um nicht gleich zu streifen. Serienmäßig gibt es einen Hauptständer. Peppig: die beleuchteten Lenkarmaturen, das große Farbdisplay und das gut funktionierende Kurvenlicht. Die beiden Seitenkoffer wollen mit der richtigen Technik und einer Mischung aus Gefühl und Gewalt montiert werden. Silikonspray hilft. Aufrecht auf der Multi sitzend beginnt die Kurvenhatz. 

Handling

Grundsätzlich gibt sich die Ducati Multistrada 1260 S als leicht zu fahrendes Motorrad. Vor allem ihr breiter Lenker und die tiefe, ins Motorrad integrierte Sitzposition helfen. Ihr spezielles Einlenkverhalten erklär ich beim Punkt Fahrwerk. Angenehm ist ihre hohe Highspeed-Stabilität, sofern der Reifen nicht ungünstig abgefahren ist. Die 17-Zoll-Bereifung – vorne wie hinten – passt gut zur Multistrada. Sie wird überwiegend auf der Straße eingesetzt, dort ist die Bereifung genau richtig, könnte aber sogar noch einen Tick sportlicher ausfallen. Wer die Multi ausschließlich über Asphaltbänder prügeln will, dem empfehle ich den Bridgestone S21. Damit wird die Multistrada agiler und bietet mehr Feedback von der Front. 

Motor / Getriebe

Selbstverständlich stehen bei Ducatis teuerstem Reisemotorrad alle Elektronik-Goodies zur Verfügung, die man sich nur vorstellen kann, verschiedene Riding-Modi inklusive. Der 1262-Kubik-Zweizylindermotor mir variabler Ventilsteuerung (DVT) und Doppelzündung leistet 158 PS und 128 Newtonmeter Drehmoment. Man braucht etwas Erfahrung, um die Leistung einordnen zu können, aber ich möchte es mal ganz einfach beschreiben: Das Ding hat immer, wirklich immer, mehr als genug Bumms, um sehr ernst vorwärts zu schieben. Völlig egal, ob man bei 60, 80 oder 160 km/h am elektronischen Gasgriff dreht - das hat immer Kraft. Beeindruckend ist vor allem das omnipräsente Drehmoment. Gepaart mit dem Schaltautomaten (rauf und runter!), braucht man den Kupplungshebel nur mehr zum Wegfahren. Wichtig: Beim Runterschalten ohne Kupplung muss der Gasgriff komplett geschlossen sein. Für Fahrer, die automatisch Zwischengas geben, eine echte Umstellung. Das Hochschalten funktioniert gut, die BMW R 1200 GS Adventure konnte es aber einen Tick besser. Dafür sticht die Ducati die BMW beim Runterschalten wieder aus – das funktioniert hier fast komplett ruckfrei. Die einzelnen Fahrmodi sind am Gasgriff deutlich zu spüren. Je braver der Modus, desto zahmer agiert der V2. Und treibt man es doch einmal zu bunt, greift die Traktionskontrolle mal schärfer, mal weniger schärfer ein. Im Vergleich zu den alten Multistradas spürt man aber eindeutig die Verbesserungen: die Regeleingriffe werden von Generation zu Generation sanfter, weicher, unauffälliger. 

Fahrwerk

Das vollelektronische Skyhook-Fahrwerk der Multistrada schien mir im ersten Moment etwas straff und unpräzise. Kurze Schläge kamen mir unnötig hart vor. Lange Bodenwellen haben leichtes Schaukeln mit sich gebracht. Die vielfältigen Verstellmöglichkeiten wollte ich ausprobieren, aber bereits nach wenigen Klicks schien ich mich im Setup zu verlaufen. Retour auf Werkseinstellung. Das Einlenkverhalten ist schwierig zu beschreiben, aber ähnlich der MT-09 gewesen: In die ersten paar Grad Schräglage ist sie förmlich hineingefallen, um dann plötzlich unhandlicher / stabiler zu werden. Ich bevorzuge ein neutrales Einlenkverhalten. Zwar gewöhnt man sich mit der Zeit an die Multistrada-Eigenheit, aber das konnte – im direkten Vergleich – die BMW GS besser, bzw. neutraler. Dafür ist das Fahrwerk, einmal auf Temperatur gebracht und ordentlich bewegt, präziser als bei der Bayerin. Nur im Bummelmodus ist das – für mein Empfinden - zu straff.

Bremsen

Ducati montiert Brembo M50-Bremszangen an der Front und ein Bosch-Kurven-ABS der neuesten Generation. Die Wirkung: knackig. Zwar könnte der Druckpunkt am Bremshebel etwas härter sein, die Dosierbarkeit ist solide bis gut, die Verzögerung beeindruckend. Wer möchte, kann Bremspunkte sehr spät setzen und wird beim ABS-Eingriff nicht mit langen Regeleingriffen gestreckt. Das funktioniert richtig gut. Zwar konnte ich auf meiner Hausstrecke ein dezentes Fading der Vorderradbremse ausmachen, aber das war bei jenseits der 30 Grad Außentemperatur und richtig böser Bremseinsätze zu erwarten. Nüchtern betrachtet hat die Bremsanlage sogar Rennstreckenpotenzial. Endlich funktioniert auch die Hinterradbremse wie man sich das wünscht. Der Hebelweg ist nicht zu kurz und nicht zu lange, Verzögerung und Dosierbarkeit stimmen. Urban meistert man fast alle Bremsmanöver nur mit der Hinterrad- und Motorbremse. Hat Ducati gut gemacht. 

Aufgefallen

Wie breit der Tank baut, obwohl nur 20 Liter reinpassen. Wie stark das Display vibriert, wenn man untertourig unterwegs ist. Wie straff das Fahrwerk abgestimmt ist. Und wie gut die Elektronik mittlerweile funktioniert. 

Durchgefallen

Die Montage des Koffersets ist im Neuzustand etwas mühsam - müsste leichter gehen. Das Displayglas ist sehr kratzempfindlich. 

Testurteil: Ducati Multistrada 1260 S, by p.bednar

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