Test Ducati Multistrada 950 – Italienische Reiselust für Speedjunkies

Test
06.12.2017

Von: Philipp Bednar
Die Multistrada 950 ist der Einstieg in Ducatis Reiseenduro-Welt. Als privater Multistrada 1200-Fahrer dachte ich zuerst an ein schmerzhaftes Downgrading. Doch nach einigen Tagen mit der rassigen Italienerin war ich überrascht. 

Ergonomie

Was mir an der Multistrada so gefällt, ist ihre vorderradorientiere Sitzposition. Während man im Sattel der GS gefühlt um einen halben Meter weiter hinter dem Vorderrad sitzt, glaubt man auf der Multistrada direkt über der Vorderachse zu thronen. Dementsprechend viel Rückmeldung gibt es von der Front. Kleinere Piloten könnten sich grämen, denn die Sitzhöhe von 840 mm ist selbst für meine langen Storchenhaxen nicht zu unterschätzen und kann beim Wenden schon mal heikel werden. Die zweiteilige Sitzbank ist bequem und angenehm geformt. Zum Soziuskissen hat der Fahrerhintern noch viel Platz, der Knieschluss passt, der Tank ist zwar hoch aber nicht besonders breit im Schritt. In Summe sitzt man auf der Multistrada 950 mit einem entspannten Kniewinkel und fahraktiv aufrecht. Gegenüber der 1200er ist der Windschutz besser geworden.

Handling

Nach den ersten paar Kurven war ich etwas verdutzt: Das Handling unterscheidet sich von meiner 2010er 1200er-Multi doch spürbar. Der Grund ist sogar mehr als offensichtlich: Das Vorderrad ist statt 17 ganze 19 Zoll groß. Das bringt gewisse Stabilitätsvorteile, vor allem im Gelände. Das Hinterrad ist mit 17 Zoll im bekannten Format, hat aber nur einen 170/60-Reifen montiert. Die große Multi führt einen 190er Hinterreifen spazieren. Es ist die gleiche Rad-Reifen-Kombination wie in der Multistrada 1200 Enduro. Damit ist zweifelsohne der Einsatzzweck eindeutig dualer ausgelegt als bei „normalen“ 1200er Multistrada. Durch den breiten Lenker ist das Handling durchaus leichtfüßig. Praktisch ist der große Einschlag, der auch Wendemanöver auf engeren Straßen zulässt. Steigert man das Tempo, wird die Multistrada 950 spürbar träger, es braucht mehr Kraft am Lenker, um Richtungswechsel einzuleiten. Man kann von der typischen Ducati-Stabilität sprechen, denn je schneller man wird, desto satter liegt die Multi. Das Plus an Stabilität gibt vor allem weniger geübten Fahrern genau jenes Selbstvertrauen, welches in schnellen Ecken gefragt ist. Selbst derbe Asphaltkanten oder tiefe Spurrillen bringen die hochbeinige Reisebegleiterin nicht aus der Ruhe.

Motor/Getriebe

Der typische 90-Grad-Zweizylindermotor mit seinen 937 Kubik ist bekannt aus der Hypermotard 939 und der Supersport 939. Trotzdem dürfte das Mapping ein anderes sein, weil er spürbar sanfter und mit weniger Lastwechselreaktionen als in der Supersport agiert. 113 PS und 96 Nm verspricht Ducati. Als 1200er-Fahrer dachte ich bei der Studie des Datenblatts: eh lieb. Im Sattel ein völlig anderes Gefühl: Der DVT-Motor (mit variabler Ventilsteuerung) hat zwar nicht ganz den Bumms aus dem Keller des alten Testastretta-Triebwerks (Hubraum ist durch nichts zu ersetzen), aber er geht bereits ab 3000 Touren sehr anständig und druckvoll zur Sache. Die Schokoseite des Motors ist aber weder seine Maximalleistung noch seine Laufruhe, sondern vor allem die starke, breite Mitte. Zwischen 3500-6000 Touren ist der Motor gut abgestimmt, hängt schön direkt am Gas und hat genau den Bumms, den man angstfrei auf den Asphalt bringt. Oben raus legt der Motor nochmals zu, aber für mich persönlich passt das Ausdrehen bis in den Begrenzer nicht zu dem Motorrad. Mit der Multistrada 950 will man auf einer moderaten Drehmomentwelle durch die Kurven surfen und smooth seinen Schräglagenrhythmus finden. Das Getriebe war großteils unauffällig, nur die Wege vom 1. in den 2. Gang und vom 5. in den 6. waren etwas länger. Überrascht hat auch der Sound, der ab ca. 5000-6000 rpm bei Volllast offensichtlich die Klappe auf Durchzug stellt und von einem Moment auf den nächsten deutlich potenter brummt. Nie prollig oder grausam laut, aber doch voluminöser als wenn man untertourig dahin blubbert.

Fahrwerk

Kein aktives elektronisches Öhlinsfahrwerk, sondern erprobte, verstellbare Analogware. Die Kayaba USD-Gabel ist vollverstellbar und arbeitet ordentlich straff. Zwar gibt es beim Bremsen ein rapides Einfedern, aber es ist transparent und spürbar hydraulisch gedämpft. Das progressive Sachs-Federbein ist ebenfalls etwas straffer und schwingt nicht nur so vor sich hin, sondern dämpft ebenfalls berechenbar und mit ordentlich Feedback die Bodenunebenheiten weg. Das Handrad zur Vorspannungseinstellung ist praktisch. Sowohl mit Koffer beladen als auch gänzlich unbeschwert - die Multistrada 950 lässt sich angenehm berechenbar manövrieren und gibt keinerlei Rätsel auf. Für den Straßengebrauch bietet das aktive Fahrwerk zwar etwas mehr Komfort, aber das Standard-Fahrwerk der kleinen Multi reicht locker für sehr ambitionierte Kurvenwetzereien. Dazu passt die große Schräglagenfreiheit. Einziger Wermutstropfen: die Zweiarmschwinge. Zwar fällt sie durch den Auspuff nicht so stark auf, aber echte Ducatifans wissen, dass da traditionell eine Einarmschwinge werken müsste.

Bremsen

Kurz und knapp: tadellos, eigentlich. Die Hinterradbremse funktioniert endlich und lässt sich vorbildlich dosieren. Die vorderen Stopper sind sportlich im Biss aber nicht übertrieben aggressiv. Leider dürfte das Testmotorrad etwas Luft im Bremssystem gehabt haben, denn der Hebelweg von der Vorderradbremse war ungewöhnlich lange und der Druckpunkt etwas flau. So musste man den Hebel beherzt und fast bis zum Griff ziehen, bis das ABS sanft  und sicher einsetzte. Die Verzögerung war aber stets konstant und wirklich gut für das Trockengewicht von 204 Kilogramm (236 kg fahrfertig, Werksangabe).

Aufgefallen

Die perfekt gelöste Höhenverstellung des Windschilds: Einfach einen kleinen Bügel auf der Innenseite des Windschilds ziehen und dann stufenlos in der Höhe verstellen. Die Verarbeitung ist super, die Materialanmutung durch die Bank wertig. Die Seilzugkupplung war leichtgängig und fein dosierbar. Und ein dicker Pluspunkt: Das große Service inklusive Ventileinstellung ist nur alle 30.000 Kilometer fällig. Das entlastet Vielfahrer im Unterhalt spürbar.

Durchgefallen

Bei unserem Testmotorrad das Kofferset. Links ging es noch vergleichsweise leicht rauf, ein bis zwei heftige Schläge, dann ist es so eingerastet, dass man den Koffer verschließen konnte. Aber auf der rechten Seite brauchte es rohe Gewalt, um die zwei Haltenasen auf die richtige Einrasteposition zu klopfen. Auch wenn das Kofferset komplett neu war und sich die Kunststoffnasen mit der Zeit sicher noch etwas einlaufen werden, aber so mühsam darf das bei einem 15.000 Euro-Motorrad wirklich nicht sein. Sind die Koffer erst einmal oben, bekommt man sie dafür wieder leicht und ohne Gewalteinsatz herunter. 

Testurteil: Ducati Multistrada 950, by p.bednar

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