Und ewig sticht die Vespe

28.07.2016

Von: Franz Farkas
Wenn man weitgehend unvoreingenommen an ein Thema herangeht, ist das Ergebnis oft erstaunlich, wenn nicht sogar genial. So etwa, wenn sich ein Flugzeugkonstrukteur an einem motorisierten Zweirad versucht. Genau dies ist die Entstehungsgeschichte des legendären Vespa-Rollers, der heuer 70 wird.

Kurz nach dem Zweiten Weltkrieg war auch in Italien so ziemlich alles Mangelware, vor allem aber preisgünstige Mobilität. Kein Wunder, dass Firmen wie etwa der Radiohersteller ­Ducati begannen, Hilfsmotoren für Fahrräder zu bauen. Auch im Flugzeugwerk Piaggio Air suchte man nach einem derartigen Konzept, das nicht nur gut verkäuflich, sondern auch mit den vorhandenen Ressourcen herstellbar sein sollte. So bekam der Flugtechniker Corradino D’Ascano vom Firmeninhaber Enrico Piaggio den Auftrag, ein motorisiertes Zweirad zu entwickeln. D’Ascano hasste eigentlich Motorräder, auf ihnen wurde man nur schmutzig, zudem wollte er sich eigentlich in der gerade aufstrebenden Helikoptertechnik verwirklichen. Da er aber nur die Alternative hatte, Töpfe oder ähnlichen Hausrat oder eben ein Fahrzeug zu produzieren, entwickelte er in erstaunlich kurzer Zeit ein völlig neues Konzept. Die Devise war, sauber und bequem fast wie in einem Auto von A nach B zu gelangen. Daher verschwand der Motor unter einer Blechhaube, es gab keine schmierige Kette (das Hinterrad war direkt mit dem Triebwerk verblockt) und natürlich einen freien Durchstieg, um auch der damals fast ausschließlich berockten Damenwelt das Fahren zu ermöglichen. Neben der Triebsatzschwinge war auch das Konzept des Blechpressrahmens ein genialer Schachzug, er ermöglichte die Verwendung der vorhandenen Werkzeuge und war zudem noch extrem stabil. Die einseitige Aufhängung der beiden (austauschbaren) Räder stammte aus der Flugtechnik, die Fahrwerke der Piaggio-Kriegsflugzeuge standen hier Pate. Radwechsel war fortan so einfach wie beim Pkw, ein mitgeführtes Ersatzrad machte den Fahrer auf den damals noch stark mit Hufnägeln gespickten Straßen unabhängiger. 

Vom Paperino zur Vespa

Der erste Entwurf war mit seinem 90 cm³-Motor nicht gerade eine Schönheit, weshalb der Prototyp von den Piaggio-Werkern „Paperino“ (Donald Duck) gerufen wurde. Erst der zweite Entwurf mit seiner schlanken Taille konnte auch vom Design her überzeugen und wurde „Vespa“, die Wespe, getauft. Die geniale Einfachheit und Details wie eine Handschaltung, die auch schöne Damenschuhe schonte, sorgten nicht nur in Italien für eine rasche Verbreitung. Sicher hatte es schon Jahre davor ähnliche Konzepte gegeben, wie etwa das Lomos-Sesselrad aus den Zwanzigern oder das knapp danach in den USA gebaute Neracar. Allerdings fehlte diesen Fahrzeugen die Konsequenz der Vespa und natürlich auch das passende Umfeld. 

In den Fünfzigern wurde das rasende Insekt auch nördlich der Alpen bekannt, in Deutschland wurde es in Lizenz und in Indien ohne Lizenz gebaut. 1963 kam mit der V 50 Special erstmals ein Moped mit der immer noch gleichen Bauweise heraus, dem die Jugend beiderlei Geschlechts sofort verfiel. Inzwischen waren die „Großen“ bei 160 bzw. 180 cm³ angelangt, diese Roller konnten sich auch im allgemeinen Niedergang des Zweirades in dieser Zeit sehr gut behaupten. Als danach in den Siebzigern und Achtzigern erneut ein Zweiradboom von den USA nach Europa schwappte, waren die Italiener noch immer an vorderster Front. Die Vespa hatte sich zum Kultfahrzeug entwickelt, es gab und gibt heute noch unzählige Tuning- und Zubehörteile, von denen eine ganze Industrie vor allem im Mutterland Italien sehr gut lebt.

Erfolge im Sport

Ein Grund für die Bekanntheit war auch immer das Sport­engagement, in den Fünfzigern gewannen die Vespen aus Pontedera jede Menge Bewerbe, bei denen meist eine eigene Rollerklasse ausgeschrieben war. Sowohl auf der Straße als auch im Gelände standen die Roller ihren Mann, so dominierten sie 1951 die Six Days und fuhren neun Goldmedaillen ein. Sogar an der berühmt berüchtigten Wüstenralley Paris–Dakar nahm ein Vespa-Team teil und kam sogar ins Ziel. Zu diesem Zweck gab es auch immer besonders sportliche Modelle wie etwa die 90 SS mit einem als Knieschluss fungierenden Reserverad und Zusatztank oder die T5 mit einem besonders schnellen Motor. Dabei ist der unverwüstliche Roller in seinem Grundkonzept immer so geblieben, wie ihn D’Ascano 1946 gezeichnet hat. Der Blechpressrahmen und die Triebsatzschwinge, aber auch die Radaufhängungen sind typische Markenzeichen, auch wenn nach einem heftigeren Sturz meist ein Spengler bemüht werden muss. Geändert haben sich selbstverständlich die Motoren. Der unverwüstliche Zweitakter musste aus Geräusch- und Abgasgründen einem Viertakter mit Variomatik weichen, ABS ist nun selbstverständlich. Immer noch ist die Vespa Kult, auch wenn die Einstandspreise wesentlich über denen der Konkurrenz liegen. Dafür ist auch der Wiederverkaufswert erstaunlich stabil. Das bedeutet, eine Vespa ist eine echte Alternative zum Kauf von Aktien.