Vom Pferdeschuh zum Premiumreifen

Continental
31.03.2014

Von: Philipp Bednar
Continental präsentierte in Schladming seinen neuen Winterreifen WinterContact TS 850 P und gewährte dabei tiefe Einblicke in die Komplexität der modernen Winterreifenentwicklung.

Am Anfang steht meistens eine gute Geschichte. Bei Continental steckt die Story im Firmenlogo – dem sich aufbäumenden Pferd. Denn bevor Continental in der weit über 100-jährigen Geschichte zum Reifengiganten aufstieg, fertigte man aus Gummi rutschsichere Hufüberzieher für Pferde. So gesehen war Continentals erster „Winterreifen“ für nur ein PS ausgelegt – streng genommen. Heute, nach über 60 Jahren Winterreifenerfahrung, müssen die Pneus deutlich mehr aushalten. Wie komplex und umfangreich die Reifenweiterentwicklung wirklich ist, wurde im Rahmen der Präsentation des neuen WinterContact TS 850 P gezeigt. Mit überaus interessanten Details.

Premium ist doch besser
Doch bevor wir uns zu sehr in Theorie verlaufen zuerst einmal Eindrücke aus der Praxis. Hält ein Premiumreifen, was er verspricht? Ja, bei der Conti-Präsentation eindeutig. Um einen ersten Eindruck zu gewinnen, wurde ein einfacher Test gefahren: Mehrmals hintereinander auf einer geschlossenen Schneefahrbahn auf 50 km/h beschleunigen und anschließend eine Notbremsung durchführen. Idente Autos, idente Strecke, lediglich die Reifen waren unterschiedlich. Testkandidat eins, ein Low-Budget-Winterreifen, Testkandidat zwei, der neue Conti WinterContact TS 850 P. Das Ergebnis verblüffte sogar die abgebrühten Journalisten: Nicht nur, dass die Low-Budget-Winterreifen deutliche Traktions- und Beschleunigungsprobleme hatten, der Bremsweg war im Schnitt um über eine Wagenlänge (ca. fünf Meter) pro Notbremsung länger. Statt im Mittel knapp unter 25 Meter mit den Conti Premiumwinterreifen, brauchte der Low-Budget-Gummi meist 30 Meter, um bis zum Stillstand zu bremsen. Ein eindeutiges Ergebnis, dass sich bereits beim ersten Druck aufs Bremspedal bemerkbar macht. Hier kann Premium wirklich mehr als Low-Budget. Erzielt wird die bessere Performance dank geringem Lamellenabstand sowie mehr Profilblöcken und Griffkanten. Continental spricht von einem bis zu fünf Prozent besserem Bremsverhalten im Vergleich zum Vorgänger TS 830.

Profiltiefe entscheidend
Weniger überraschend fiel der zweite Test aus. Hier musste ein neuer WinterContact TS 850 P mit voller Profiltiefe, gegen einen auf vier Millimeter abgefahrenen TS 850 P antreten. Wieder idente Fahrzeuge auf identer Strecke. Diesmal jedoch wurde nicht der Bremsweg, sondern nur die Traktion gemessen: Wie lang brauchen die jeweiligen Reifen, um vom Stand weg auf 20 km/h zu beschleunigen, gemessen in Sekunden. Abermals auf einer Schneefahrbahn. Logischerweise waren die neuen Reifen besser, da sie sich tiefer in den Schnee krallen konnten und flotter auf Tempo kamen. Die abgefahrenen Reifen hatten spürbar zu kämpfen und brauchten rund drei Sekunden länger (7,5 statt 4,5 Sekunden), um auf lächerliche 20 km/h zu beschleunigen. Der große Traktionsunterschied war auch bei jedem Lenkmanöver deutlich zu spüren. Es fehlte schlicht an genügend Schultergrip der Reifen – das Lenkverhalten war unpräzise und schwammig. Insofern ist die Mindestprofiltiefe für Winterreifen keine Schikane, sondern ein echtes Sicherheitsfeature – vor allem für unerfahrene Autolenker.

Teure Entwicklung
Continental ist als Premiumreifenproduzent auch für Automobilhersteller als Erstausrüster interessant. Dabei profitieren beide Seiten von der Zusammenarbeit. Zum einen die Hersteller, da sie maßgeschneiderte Reifen geliefert bekommen, die die angestrebten Fahreigenschaften des Wagens unterstreichen. Zum anderen Continental selbst, da man sich sowohl das Image des Erstausrüsters auf die Fahnen heften, als auch das After-Sales-Geschäft im Autohaus sichern kann. Doch bis zur Erstausrüstung ist es ein steiniger Weg - besonders als Reifenlieferant. Der Knackpunkt sind nicht die spezifischen Herstelleranforderungen, sondern der Zeitplan. Meistens befinden sich die Automodelle selbst noch in einem Prototypenstatus, der sich nach und nach verändert. Reifenspezifikationen, die im Erststadium schon nahe am Ziel waren, können bereits nach wenigen Wochen genau verkehrt sein, da sich der Prototyp in eine andere Richtung weiterentwickelt hat. Da ein neuer Reifen aber zuerst einmal am Computer entworfen wird, anschließend produziert und hausintern getestet wird, vergeht schon viel Zeit, bevor der Reifen erstmals am Prototyp steckt. Gab es in dieser Zeitspanne wieder Modifikationen am Auto, heißt es für die Reifenentwickler wieder zurück zum Start. Laut den Continental-Entwicklern ein stressiger und kostenintensiver Wettlauf gegen die Zeit, der mehrere Monate pro Modell dauern kann. Dazu kommt noch, dass speziell Winterreifen entwicklungsintensiver sind, da die Zielkonflikte zwischen Trocken-, Nass- und Schnee/Eiseigenschaften deutlich größer ausfallen als bei Sommerreifen. Um hier den besten Kompromiss aller Reifenfähigkeiten zu finden, bedarf es intensiver Forschung im Bereich der Gummimischung (die ca. 50 Prozent der Performance ausmacht), der Lamellenstruktur sowie dem grundlegenden Reifenaufbau. Erst wenn alle Faktoren ein harmonisches Ganzes ergeben, ist der Reifen fertig für die Erstausrüstung bzw. für den Reifenhandel. Dort obliegt es dann dem Kunden zu entscheiden, ob er bereit ist, ein paar Euro mehr für einen Hightechreifen auszugeben, oder lieber einen fünf Meter längeren Bremsweg in Kauf nimmt. Wer jedoch einmal zu wenig Bremsweg hatte, wird wohl nicht mehr bei den Reifen sparen.