Test BMW R 1200 GS Adventure Rallye - Geile Kuh!

Test
24.05.2018

Von: Philipp Bednar
Endlich, nach langem Betteln und Flehen hat mich BMW Austria erhört und mir die R 1200 GS Adventure Rallye zur Verfügung gestellt. Obwohl ich eigentlich kein GS-Freund bin, hat mich die dicke Kuh nachhaltig beeindruckt. Vor allem in seiner Gesamtheit ist das Eisen eine Macht. Es folgt (leider) ein Loblied.

Ergonomie

Tja, da steht die dicke Kuh vor mir: weiß, blau, silber, ein bisschen schwarz, Drahtspeichenfelgen, mächtiger Sturzbügel rundum, Nebelscheinwerfer. Das Einmal-Alles-Paket für Besserverdiener mit Zweiradaffinität. Schwung in den Sattel, schau an, hoch sitzt man hier. Mit der Rallye-Sitzbank sind es üppige 895 mm Sitzhöhe. Man sitzt nicht, man thront. Nix für kurzbeinige Biker. Die Sitzbank ist aber nahezu ideal geformt: um den Schritt schön schmal, beim Hintern angenehm breit und gut gepolster. Kleines Manko, der ca. 1,5 Zentimeter dicke Spalt zwischen Sitzbank und Tank. Griff zum hohen, breiten Lenker. Passt perfekt. Der Windschild lässt sich stufenlos via Drehrad verstellen. Grundsätzlich sogar während der Fahrt, sofern der Winddruck nicht all zu stark ist. Mit meinen 1,85 Meter Körpergröße hatte ich bei keiner Scheibeneinstellung jemals unangenehme Luftverwirbelungen im Helmbereich. Der Windschutz war dementsprechend gut. Blick auf das riesige, bunte TFT-Display. Geile Sache. Bedient wird die volldigitale Instrumententafel über die linke Lenkerarmatur: rauf und runter wird via Wippschalter durchgeswitcht. Rechts und links über das Drehrad daneben. Warum man nicht alles über das Rad macht, hat sich mir nicht erschlossen. Aber gut, vielleicht sind die Extra-Features für das Navigationssystem (nicht integriert) reserviert. Egal, es sitzt sich angenehm, der Knieschluss passt, die Übersicht (auch über die Spiegel) ist sehr gut. Aber der Hammer ist der extrem weite Einschlag. Laut Werksangabe bringt das Testmotorrad 263 Kilogramm auf die Waage. Dank des großen Einschlags wendet man die GS jedoch gefühlt am Stand, sofern man mit den Zehnspitzen noch zum Boden kommt. Nettes Gimmick: Fährt man ins Gelände, lässt sich beim Fußbremshebel eine Erhöhung umklappen, um auch bei stehender Fahrt die hintere Bremse tadellos bedienen zu können. Sehr clever. 

Handling

Applaus, Applaus, die GS fährt sich wahrlich nicht wie ein knapp 260 Kilogramm-Bomber. Ganz im Gegenteil, einmal in Bewegung, lässt sie sich sehr leicht mit minimalsten Lenkimpulsen von einer Seite auf die andere legen. Selbst bei Topspeed reicht ein kleiner Drücker am Lenker und die Adventure legt sich in die Kurve. Großes Kino. Und dabei zuckt der Lenker selbst bei Highspeed nicht einen Millimeter. Total stabil surft man durch die Radien, gleich ob mit 10 oder 200 Km/h. Auffällig: Selbst bei Schrittgeschwindigkeit ist die GS kein bisschen kippelig sondern liegt satt auf der Straße. So satt, dass ich nach kürzester Zeit ein extrem hohes Vertrauen in ihre Agilität hatte, trotz ihrer ausladenden Größe. Beim Durchschlängeln in der Stadt ist man dennoch etwas eingeschränkt. Die hohe Sitzposition und die Breite durch den Boxermotor geben gewisse Grenzen auf. Stadt kann die GS fast ohne Einschränkungen, aber ihr Zuhause sind die Land- und Bergstraßen dieser Welt. Denn dort zerstört die Kuh alle Vorurteile, die man dem bayrischen Fast-Alleskönner entgegnen könnte. Handlich wieselt sie um die Ecken. Gleichwohl stets stabil und dabei neutraler als jeder Schweizer. So ein dickes Gerät lässt sich so leicht durch die Kurven surfen? Jepp. Und es macht sogar noch mächtig Freude. Vereinzelt kratzt einmal die Fußraste am Boden. Dann ist man aber schon sehr motiviert unterwegs und braucht den gebückten Knieschleifer auf seinem Joghurtbecher im Genick auch nicht mehr fürchten. Eher im Gegenteil: Während man auf einem normalen Motorrad schon mit viel Körpereinsatz und Mut andrückt, sitzt man im GS-Sattel noch immer aufrecht und lässt die dicke Kuh stoisch ihre Speed gehen. So einfach lässt es sich schnell sein. Und dabei so bequem und unaufgeregt. Leider wirklich ganz großes Kino. Gut, beim Reversieren im Stand merkt man ihr die Kilos an, vor allem dann, wenn man beim Abbremsen auf Stillstand etwas spät den Fuß von der Raste nimmt und die Kuh etwas schräg abstellt. Aber ganz ehrlich: Beim Handling gibt es rein gar nix auszusetzen. 

Motor / Getriebe

Tja, die Luftkühlung ist vorbei, mittlerweile wird der 1170 Kubik-Boxermotor mit Wasser gekühlt. Die Hardcore-Fans hatten bei der Einführung Tränen in den Augen. Völlig überflüssig. Denn der wassergekühlte Boxer ist besser denn je. Mit satten 125 Newtonmetern bei 6500 U/min und ebenfalls 125 PS (bei 7750 U/min) steht die Kuh mächtig gut im Futter. Ich finde sogar, dass es sich nach etwas mehr Leistung anfühlt, trotz des hohen Gewichts. Das liegt vor allem an dem mächtigen Bumms, der bereits kurz nach Standgas abrufbar ist. Ein Dreh am kurz und direkt übersetzten Gasgriff und die Kuh macht määächtig Muh! Denn jetzt kommt mein persönliches Lieblingsfeature der GS: der Quickshifter. Einfach den Hahn voll öffnen, die Kuh brutal vorwärts treiben und kurz vor dem roten Drehzahlbereich ein kurzer Tipper mit der linken Zehenspitze, den Schalthebel ganz ohne Kupplung hochdrücken und baff - der nächste Gang ist drinnen. Nochmals volles Rohr - baff!, baff! Jawohl, so geht Durchreißen im Jahre 2018. Sehr, sehr lässig. Dabei rotzt der Auspuff schon mal wie bei ihrer Supersportschwester S 1000 RR. Herrlich. Grinsgarantie unterm Helm. Und stets Vortrieb. Trotz der über 260 Kilogramm. Mächtig. Aber: Der Quickshifter lässt einen auch ohne Kupplung runter schalten - also mit Blipper-Funktion - ebenfalls ohne Kuppeln. Die Fuhre gibt sogar automatisch Zwischengas. Herrlich - aber nur fast. Denn beim Runterschalten geht ein Ruck durch Fahrwerk und Getriebe, dass man es nicht auf Dauer und schon gar nicht bei niedrigen Touren machen möchte. Nicht falsch verstehen, es funktioniert. Aber ein geübter Reiter schaltet weicher runter. Vorteil: Selbst wenn man im Regen ultraspät vor der Ecke dran ist, blockiert das Hinterrad nicht und die Kuh keilt mit dem Heck nicht aus. Ich hab es ausprobiert - stoische Ruhe an der Hinterhand. Sehr vertrauenserweckend. Das Getriebe selbst lässt sich sonst eher unauffällig schalten. Weder auffällig butterweich noch hakelig. Und der Sound? Der ist - trotz des üppigen Endschalldämpfers - bemerkeswert dumpf. Nicht ganz so dumpf wie italienische Nachrüstdämpfer, wo man sich schon mal die Frage stellt, wie die überhaupt eine Zulassung bekommen haben. Aber für einen Serienauspuff mit Euro4-Abgasnorm ist der Spruch der Kuh gar nicht übel. Hier sei nochmals erwähnt: Ich bin grundsätzlich kein GS-Freund! Der Form halber: Die GS bietet vier verschiedene Riding Modi: Road, Dynamic, Rain und Enduro. Die Modi unterscheiden sich in Sachen ABS-Eingriffe, Traktionskontrolle, Gasannahme und Leistungsentfaltung.

Fahrwerk

Das Testmodell war mit dem aufpreispflichtigen Dynamic ESA, dem elektronischen Fahrwerk von BMW Motorrad ausgerüstet. Dementsprechend fein hat das System funktioniert. Denn das Fahrwerk passt sich ganz automatisch dem Reiter und seinem Fahrstil an. Cruist man entspannent durch die Gegend, werden Unebenheiten sehr komfortabel und weich geschluckt. Dreht man plötzlich motivierter am Gasgriff, reagiert die Dämpfung blitzschnell und wird straffer, direkter. Anders formuliert: Das Fahrwerk meistert den Spagat zwischen gemütlich und sportiv jederzeit und unmerklich. Wobei so ganz stimmt es nicht, denn wenn man konventionelle, nicht elektronische Fahrwerke etwas straffer mag, dann wird man einige Kilometer brauchen, um sich auf die bewegliche Front einzustellen. Denn im Fahrwerk der GS ist immer etwas Bewegung. Da wird ein ein- und ausgefedert wie es gerade notwendig ist. Das ist keinesfalls schlecht, denn schlussendlich soll ein Fahrwerk ja genau das machen, nämlich die Unebenheiten ausgleiche und damit den Reifen Arbeit abnehmen. Speziell die Telelever-Vorderradaufhängung verlangt Eingewöhnungszeit. Denn obwohl diese Konstuktion eigentlich ein einsackendes Vorderrad beim Bremsen verhindern bzw. nicht so deutlich spürbar machen sollte, reicht ein abruptes Gaszudrehen, und die Front nickt schon. Die Vorspannung am hinteren Federbeim lässt sich übrigens über das Menü verstellen, passt sich aber grundsätzlich ebenfalls selbstständig an. Beim ESA-Fahrwerk stehen verschiedene Modi zur Verfügung, die man persönlich anwählen kann, gleich in welchem Riding Modus man unterwegs ist. Das Dynamic ESA-System ist aber mit den anderen System verknüpft, um sich noch besser an die jeweilige Fahrsituation anzupassen. Ich kürze hier ab, da ich mir sicher bin, dass alleine das Thema elektronisches Kuh-Fahrwerk eine Dissertation füllen würde: Das Fahrwerk funktioniert richtig gut. Es ist zwar stets in Bewegung und Nicht-GS-Fahrer werden eine Eingewöhnungsphase brauchen, um das nötige Gefühl und Vertrauen aufzubauen, aber die GS fährt handlich und stabil und zwar in jeder Lebenslage.

Bremsen

Der einzige Punkt, wo ich etwas Kritik üben darf. Nein, die Bremse der GS ist nicht schlecht. Aber beim Bremsen merkt man, dass über 260 Kilogramm anschieben. Die Vorderradbremse ist dabei offensichtlich auch für den Enduroeinsatz ausgelegt, da die Beläge im ersten Biss recht zahm sind. Erst wenn man den Druck am Hebel erhöht, Belag und Bremse mehr Temperatur aufbauen, wird der biss sportiver und direkter. Im Gelände ist das wunderbar, beim motivierten Kurvenräubern könnte aber schon der erste Biss beherzter sein. Dafür stimmt die Dosierbarkeit. Tadellos hingegen die Hinterradbremse, sie sich perfekt dosieren lässt und eine sehr gute Bremswirkung im Test gezeigt hat. Innerstädtisch habe ich fast ausschließlich mit Motor- und Hinterradbremse gearbeitet - so gut bin ich damit zurecht gekommen. Ja, das ABS setzt ein, aber wie so oft bei Motorräder dieser Güte: für mich nie zu früh, sondern dann, wenn ich es erwarten würde. Reicht, um auf der Hausstrecke keine Gegner fürchen zu müssen. Außer vielleicht semiprofessionelle Supermoto-Cracks, die am Kurveneingang mit dem Vorderrad einen fünf Meter Bremsdrift ziehen. Okay, da kann die Kuh nicht mit. Muss sie aber auch nicht. 

Aufgefallen

Die gute Übersicht über die Rückspiegel. Das wirklich hübsche TFT-Display samt hoher Auflösung. Wie gut der Motor geht. Wie praktisch ein Tempomat sein kann. Wie stabil und handlich die dicke Kuh gleichermaßen sein kann. Wie leicht man damit schnell durch eine Kurven wetzt. Wie viel Spaß BMW-GS-Fahren machen kann. Und wie teuer dieser Spaß heute ist: 26.872 Euro. 

Durchgefallen

Eigentlich nur der Preis. Natürlich kann die BMW R 1200 GS Adventure wirklich alles, was man vorn ihr verlangen kann. Und noch dazu so gut. Aber hallo, es ist noch immer ein Motorrad. Zum Preis eines Mittelklassewagens. Das ist schon heftig. 

Testurteil: BMW R 1200 GS Adventure, by p.bednar

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