Technologieoffenheit

Mehr Treibhausgase durch „Electric only“

Treibstoff
11.10.2023

 
Bis 2050 müssten rund 15 Milliarden Liter fossiler Kraftstoffe durch Alternativen ersetzt werden, um die politisch festgesetzten Klimaziele zu erreichen.
Bernhard Geringer betrachtet das Gesamtsystem von der nachhaltigen Energiegewinnung bis zum Fahrzeug-Rad.
Bernhard Geringer betrachtet das Gesamtsystem von der nachhaltigen Energiegewinnung bis zum Fahrzeug-Rad.

Nur den Strom oder auch vermeintlich ineffiziente E-Fuels isoliert zu betrachten, ist laut Bernhard Geringer, dem Organisator des Internationalen Wiener Motorensymposiums, zu wenig. Denn bis zum Pariser Klimaziel 2050 müssten rund 15 Milliarden Liter fossiler Kraftstoffe, die aktuell täglich auf der ganzen Welt getankt werden, durch klimaneutrale Kraftstoffe ersetzt werden, um die politisch festgesetzten Klimaziele zu erreichen. „Für echte Klimaneutralität muss das Gesamtsystem von der nachhaltigen Energiegewinnung bis zum Fahrzeug-Rad betrachtet werden. Ein Windrad in Chile mit dreifacher Wasserstoffgewinnung kompensiert verglichen mit Mitteleuropa bei weitem den Wandlungsnachteil der Energie“, erklärt Geringer. Besonders groß sei das Potenzial für die Erzeugung erneuerbarer Energie in Regionen wie Nordafrika, Nahost, Chile oder Australien.

39 Prozent mehr Treibhausgase

Dass das Erreichen der globalen Klimaziele mit der aktuellen Strategie als unerreichbar gilt, würden auch Kraftstoffstudien von Ulrich Kramer zeigen, Technik-Experte für erneuere Kraftstoffe bei Ford in Köln. Gesamthaft betrachtet, von der Herstellung der nötigen Energie und Rohstoffe über die Produktion bis zum Betrieb und Recycling eines Fahrzeugs würden durch „Electric only“ bis 2050 in der EU um 39 Prozent mehr Treibhausgase erzeugt als mit einem Mix verschiedener klimaneutraler Technologien, was zudem deutlich billiger käme. Entscheidend sei das Tempo der Umstellung auf klimaneutrale Fahrzeuge, so Kramer: „Mit dem rein batterieelektrischen Ansatz geht das nicht rasch genug, allein schon wegen diverser technischer Engpässe wie der zu geringen Ausbaugeschwindigkeit des Stromnetzes oder der unzureichenden Kobaltversorgung für den Bau von Batterien. Immerhin rechnet die Branche weltweit mit einer Versechsfachung des Batteriespeicherbedarfs bis 2030 gegenüber 2022.“

Wasser sparen mit E-Fuels

Basis für E-Fuels sind Ökostrom und Wasser. Pro Liter E-Fuel sind laut Alba Soler, Expertin für erneuerbare Energien bei Concawe in Brüssel, nur wenige Liter Wasser nötig gegenüber tausenden Litern pro Liter Biokraftstoff, der aus Getreide gewonnen wird. Der erzeugte grüne Wasserstoff kann mit CO2 etwa aus Industrieabgasen oder aus der Luft zu E-Methan oder klimaneutralen Flüssigkraftstoffen wie E-Benzin, E-Kerosin oder E-Diesel weiterverarbeitet werden. Damit ließen sich die E-Fuels wie fossile Kraftstoffe preisgünstig per Schiff oder Pipeline nach Europa transportieren. Der Transport von flüssigem „grünem“ Wasserstoff dagegen wäre deutlich teurer. Nachdem die EU neben dem Aus für Verbrennungsmotoren ab 2035 eine Option für E-Fuels zugelassen hat, steigt das Interesse möglicher Produzenten. Als wichtige Vorarbeit für diese Entscheidung betrachtete Thorsten Herdan, Geschäftsführer von HIF EMEA, die von HIF Global mit Porsche im Süden Chiles errichtete kleine E-Fuel-Demonstrationsanlage. Der Konzern will ab 2026 die Massenproduktion von E-Fuels starten. Den Massenmarkt für E-Fuels sieht Herdan im Schwer-, Schiffs- und Luftverkehr, weniger im Pkw-Bereich. Der weltgrößte Erdölkonzern Aramco mit Sitz in Saudi-Arabien plant aufgrund der neuen EU-Entscheidung die Errichtung einer kleinen Anlage für E-Fuels in Europa.