Ukraine-Krieg

Russland erschüttert auch die Autoindustrie

Lieferengpässe
02.03.2022

Russlands Angriff auf die Ukraine lässt auch die Autoindustrie nicht kalt. Einige Unternehmen haben ihr Russland-Geschäft bereits eingestellt, andere leiden unter Lieferengpässen und ringen noch um eine weitreichendere Entscheidung. Die KFZwirtschaft zeigt, welche Unternehmen betroffen sind.
Kabelbäume in einem Auto
Da aus der Ukraine derzeit keine Kabelbäume geliefert werden können, müssen westliche Werke wie jenes von VW in Dresden oder BMW Steyr die Produktion teilweise stilllegen. 

Jahrzehnte der Annäherung sind plötzlich vorbei: Westliche Unternehmen kappen in Folge des russischen Angriffs auf die Ukraine ihre Verbindungen zu Russland. Auch die Autoindustrie ist von der politischen Krise betroffen.

VW hat in Russland Milliarden investiert

Mitten drin statt nur dabei ist der Volkswagen-Konzern. Insofern nämlich als er als einziger deutscher Autobauer ein Werk in Russland betreibt. Dieses befindet sich in Kaluga, 170 Kilometer südwestlich von Moskau. Vom Konzernsitz in Wolfsburg sind es etwa 22 Stunden Autofahrt bzw. 2000 Kilometer nach Kaluga. Derzeit werden in dem dortigen Werk der Volkswagen Tiguan und Polo sowie der ŠKODA Rapid gefertigt. Außerdem werden dort die Audi-Modelle Q7 und Q8 auf Semi-Knocked-Down-Basis (SKD) produziert. 

In Kaluga befindet sich auch ein Motorenproduktionswerk. Dort wird der 1,6-Liter-Benzinmotor EA211 hergestellt. Die Motoren kommen neben den in Kaluga produzierten Modellen VW Polo und ŠKODA Rapid auch in den gemeinsam mit GAZ in Nischni Nowgorod hergestellten ŠKODA Octavia, ŠKODA Karoq und Volkswagen Taos zum Einsatz.

Volkswagen hat mehr als 1 Milliarde Euro in das Werk Kaluga investiert. Insgesamt hat der Konzern hat zwischen 2006 und 2021 in Russland laut eigenen Angaben 2,06 Milliarden Euro investiert. Umso mehr wächst nun die Besorgnis rund um den Geschäftsbetrieb der russischen Landesgesellschaft LLC Volkswagen Group Rus, die das Werk in Kaluga betreibt.

Vorstand in der Zwickmühle

Für die Führung des VW-Konzerns rund um den Vorstandsvorsitzenden Herbert Diess befindet sich nun in einer Zwickmühle. Einerseits könnte man mit einem Produktionsstop in Russland ein Signal der Solidarität mit der Ukraine setzen, andererseits ist Diess freilich auch dem Wohl seiner Belegschaft im russischen Kaluga verpflichtet, erst Recht als CEO eines Konzerns, in dem die Arbeitnehmervertretung traditionell starken Einfluss genießt.

Derweil läuft der Betrieb in Russland ungeachtet des Ukraine-Krieges weiter. Auf Anfrage von „Business Insider“ erklärte ein VW-Sprecher: „In Kaluga beziehungsweise Russland läuft der Geschäftsbetrieb aktuell geregelt“. Bezüglich der weiteren Entwicklungen sei  eine valide Einschätzung zurzeit schlicht nicht möglich.

Freilich ist Zentral- und Osteuropa generell sind für den nach Toyota zweitgrößten Autokonzern der Welt ein wichtiger Absatzmarkt. 2021 lieferten alle Marken der VW-Gruppe dort fast 660.000 Fahrzeuge aus.

Unterdessen – die Globalisierung der Lieferketten lässt grüßen – legt der Krieg in der Ukraine die Auto-Produktion bei Volkswagen in Sachsen zumindest für einige Tage lahm. In den Werken in Zwickau und in Dresden (VW stellt dort sein E-Auto ID.3 her) muss die Produktion diese Woche unterbrochen und mehrere tausend Mitarbeiter für einige Tage in Kurzarbeit geschickt werden. Grund seien wegen der Grenzschließung ausbleibende Materiallieferungen aus der Ukraine, unter anderem von Kabelsätzen, die dort hergestellt werden. 

Leoni stellt Produktion von Kabelbäumen ein

Apropos Kabelbäume: Der Nürnberger Autozulieferer Leoni hat seine beiden Werke in Stryji und Kolomyja nahe Lwiw in der West-Ukraine bereits in der Vorwoche wegen des russischen Angriffs auf das Land vorerst geschlossen. Rund 7.000 Mitarbeiter fertigen dort Kabelbäume (Bordnetze) für Autos. Ein Sprecher sagte, dass VW ein großer Kunde von Leoni sei. Ob die Produktionsunterbrechungen in Sachsen mit dem Produktionsstopp bei Leoni zusammenhängen, wurde aber offiziell (noch) nicht bestätigt.

Das derzeit aus der Ukraine keine Kabelbäume geliefert werden können, wird nun auch bei BMW Steyr die Motorenproduktion stillstehen. 3200 Mitarbeiter werden ab Freitag bis 31. 5. in Kurzarbeit geschickt.Das Werk leidet wie so viele andere auch ohnehin schon unter der angespannten Versorgungslage mit Halbleitern, die Ukraine-Krise verschärfte die Situation nun zusätzlich.  

Lieferschwierigkeiten bei Renault

Auch Renault leidet unter „Unterbrechungen bei der Versorgung mit Bauteilen“, wie es heißt. Prompt haben die Franzosen ihre Produktion in Moskau bereits vorübergehend still gelegt.

Während das Russland-Geschäft für die deutsche Autoindustrie insgesamt nur einen relativ geringen Anteil ausmacht, ist Renault vergleichsweise stark in Russland engagiert. Nach Schätzungen der Citibank fährt der Konzern dort etwa acht Prozent seiner Gewinne ein. Renault ist auch maßgeblich am größten russischen Autobauer Avtovaz beteiligt, dem Hersteller der Lada-Geländewagen.

Im Jahr 2021 wurden in Russland rund 1,67 Millionen Pkw und leichte Nutzfahrzeuge abgesetzt (2020 waren es 1,60 Mio.). Damit kommt Russland nach Südkorea und vor Frankreich und UK auf Rang 8 der weltweit größten Automobilmärkte. Die absatzstärkste Herstellergruppe im Jahr 2021 war Hyundai (inkl. Kia) mit rund 380.000 Fahrzeugen. Auf Platz zwei und drei rangierten Avtovaz (Lada) mit 351.000 sowie die Renault-Nissan-Mitsubishi Allianz mit 212.000 Fahrzeugen. Knapp dahinter folgt bereits Volkswagen.

Die größten Player in Russland

„Die zu erwartenden wirtschaftlichen Sanktionen treffen insofern neben dem Hyundai Konzern die Renault-Nissan-Mitsubishi Kooperation sowie auch die Volkswagen Gruppe am stärksten“, meint Stefan Bratzel, Direktor des „Center of Automotive Management“ (CAM) in Bergisch-Gladbach, in einer aktuellen Analyse. Da die Marktrelevanz von Russland in Relation zum Gesamtumsatz für Volkswagen jedoch nur bei 2 Prozent liege, seien die negativen direkten Absatzeffekte ähnlich wie bei BMW und Mercedes-Benz als moderat einzuschätzen. Renault-Nissan-Mitsubishi sei dagegen am stärksten betroffen.

Russland besitzt laut Bratzel eine Automobilproduktion mit insgesamt 34 Produktionsanlagen für Pkw, Lkw, Vans, Busse und Motoren, die jedoch überwiegend für den eigenen inländischen Markt produzieren.

Die Invasion Russlands in der Ukraine und die darauf folgenden westlichen Sanktionen gegen Russland erwähnte Renault bei der Begründung für die Stilllegung des Werks in Russland interessanter Weise nicht.

Grafik: Die Umsätze großer Autohersteller in Russland.

Daimler und Volvo ziehen die Reißleine

Ganz anders agiert der weltgrößte Lastwagenbauer Daimler Truck. Er hat wegen des Ukraine-Krieges alle geschäftlichen Aktivitäten in Russland vorerst eingestellt.

„Wir stehen als Unternehmen für eine friedliche globale Zusammenarbeit und lehnen jede Form von militärischer Gewalt kategorisch ab“, sagte ein Sprecher des Unternehmens in Stuttgart. Das „Handelsblatt“ hatte zuvor bereits berichtet, dass Daimler Truck die Kooperation mit dem russischen Lkw-Hersteller Kamaz gestoppt hat. Daimler beliefert diesen mit Teilen für zivile Fahrzeuge.

Wie jedes andere Unternehmen bewerte auch Daimler Truck die Geschäftsbeziehungen zu russischen Partnern auf allen Ebenen, so der Sprecher. Mit militärischen Fahrzeugen von Kamaz habe man, wie er betont, ohnehin nie etwas zu tun gehabt. Der russische Markt mache gemessen am weltweiten Absatz von Daimler Truck nur rund ein Prozent aus.

Die Mercedes-Benz Group, ehemals Daimler und früher Mutterkonzern der Daimler-Lkw-Sparte, soll laut deutschen Medienberichten zudem sogar juristisch prüfen, wie sie sich von ihrem 15-prozentigen Anteil an Kamaz schnellstmöglich trennen könne.

Automobilzulieferer ZF Friedrichshafen hat unterdessen wegen des Kriegs in der Ukraine alle Lieferungen nach Russland gestoppt. Das Unternehmen analysiere in einer Taskforce die Umsetzung der internationalen Sanktionsmaßnahmen und habe alle Lieferungen nach Russland eingefroren, teilte ein Sprecher in Friedrichshafen mit. Das betreffe auch alle Lieferungen zum Gemeinschaftsunternehmen ZF Kama. Der Friedrichshafener Konzern betreibt unter diesen Namen ein Joint Venture mit dem russischen Lkw-Hersteller Kamaz. Von der Dimension her werden die Deutschen die Ausfälle verschmerzen: 2020 hat ZF mit dem Joint Venture einen Umsatz im einstelligen Millionen-Bereich gemacht. 

Aber nicht nur Daimler Truck stellt das Russland-Geschäft ein. Zuvor hatte der schwedische Nutzfahrzeughersteller Volvo verkündet, die Produktion in seiner russischen Fabrik (diese steht übrigens wie jene von VW ebenfalls in Kaluga) einzustellen. Darüber hinaus hat Volvo angekündigt, auch keine Neuwagen mehr nach Russland auszuliefern. Die Entscheidung sei wegen potenzieller Risiken im Zusammenhang mit dem Handel von Material mit Russland, einschließlich der von der EU und den USA verhängten Sanktionen getroffen worden.

„Komplexe Wertschöpfungsnetzwerke“

Der Verband der deutschen Automobilindustrie (VDA) gibt an, dass allein deutsche Autohersteller und Zulieferer insgesamt immerhin 49 Fertigungsstandorte in der Ukraine und in Russland betreiben. „Der kriegerische Angriff von Russland auf die Ukraine hat erhebliche direkte und indirekte Folgen für die Automobilindustrie“, schreibt CAM-Experte Stefan Bratzel in seiner Analyse des Marktes.

Russland und die Ukraine würden zwar als Zuliefer-Standort der globalen Automobilindustrie nur eine untergeordnete Rolle spielen, dennoch könnten aber auch hier Störungen der Lieferkette eintreten. „Aufgrund der komplexen Wertschöpfungsnetzwerke der Automobilindustrie könnten Zulieferer vorgelagerter Produktionsstufen negativ betroffen sein, was in der Folge zu Engpässen in der Teileversorgung der europäischen Werke führen kann.“ Das hat der Industrie, die ohnehin schon unter Lieferengpässen bei Halbleitern leidet, gerade noch gefehlt.