Brembo ist erste Wahl

Bremse
04.02.2019

Von: Philipp Bednar
Der italienische Bremsenhersteller BREMBO hat sich vom Formel 1-Ausrüster zum Multi-Milliarden-Euro-Konzern entwickelt. Ein Werksbesuch in der Nähe von Mailand verdeutlicht, warum Brembo bei vielen Automobilherstellern derzeit erste Wahl ist.

Es liegt ein staubiger, metallischer Geruch in der Luft. Die Maschinen ringsum arbeiten im Akkord, der Lärmpegel ist ohne Gehörschutz gerade noch auszuhalten. Die Werkshallen in Curno, eine Autostunde nordöstlich von Mailand entfernt, werden nach dem Schichtwechsel erst hochgefahren, wir sprechen noch nicht von 100 Prozent Auslastung. Wir sind bei Brembo zu Besuch, der schillerndste Name im Feld der Bremsenhersteller. Heute produziert Brembo ab dem D-Segment bei Autos, für Nutzfahrzeuge und Motorräder Bremsscheiben, Bremsbeläge und Bremssättel. Darüber hinaus noch elektronische Parkbremsen, Bremspumpen und Motorradfelgen (siehe Seite 38). Dabei hat alles mit einer Leidenschaft für Rennsport begonnen. Der Firmenname Brembo ist eine Kombination der Nachnamen der beiden Gründer Italo Breda und Emilio Bombassei. 1961 gegründet, 1964 wurden die ersten Autound 1972 die ersten Motorradbremsscheiben entwickelt. 1975 erfolgte der Einstieg in die Formel 1 – der Königsklasse. Der erste Kunde: Ferrari.

FAMILIENBESITZ ALS TRUMPF

Heute produziert Brembo in 15 Ländern weltweit, darunter USA, Brasilien, Italien, Polen, China, Indien und Japan. Matteo Rampazzo, OE-Key Account Manager Product Planning and Market Analysis, erklärt: „Brembo investiert jährlich fünf Prozent seines Umsatzes in Forschung und Entwicklung. Zehn Prozent der weltweit über 10.000 Mitarbeiter bilden das Forschungs- und Entwicklungsteam. Fortschritt, Innovation und weltweite Produktion sind die elementaren Erfolgsfaktoren.“ Beim Mittagessen verrät Rampazzo jedoch noch zwei andere Gründe, warum Brembo zum Weltmarktführer aufgestiegen ist: „Brembo ist noch immer zu über 50 Prozent im Familienbesitz von Bombassei. Es wird nachhaltig und langfristig wie ein Familienunternehmen geführt. Es werden keine externen Topmanager engagiert, die in drei Jahren die Bilanzen schönen, sich mit einem dicken Bonus verabschieden und ein Trümmerfeld hinterlassen. Und: Brembo kümmert sich um die komplette Fertigung seiner Produkte selbst. Das ganze Fertigungswissen, von A bis Z, liegt bei uns. Das ist ein enormer Wettbewerbsvorteil.“

BREIT AUFGESTELLT

Seinen Namen machte sich Brembo als Formel 1-Ausrüster. Porsche wurde aufmerksam und setzte bereits in den 1980er-Jahren auf den italienischen Bremsenlieferanten. Der Schritt in den Erstausrüstermarkt war getan. Und namhafte Kunden sollten folgen. Für alle Ferraris liefert man heute die komplett vormontierte Bremsanlage samt Achsschenkel. Bentley, Land Rover, Jaguar, Renault, Alpine, Mercedes-Benz AMG, Audi, BMW, Ford sind ebenfalls alles Brembo-Kunden. Oder anders gesagt: Im High-Performance-Segment gibt es kaum Hersteller, die nicht auf Brembo-Bremsen setzen. Der Grund: Qualität und Performance. „Unsere Rennsport- DNA hat uns dorthin gebracht, wo wir heute sind“, erklärt Luca Battistella, Brembo Performance Car Retail Market Manager. „In der Formel 1 entwickelt man am Limit. Man lotet Grenzen aus und kann die gewonnenen Erfahrungen für die Fertigung von straßenzugelassenen Produkten bestmöglich nutzen.“

IRRE QUALITÄTSKONTROLLE

Beim Schlendern durch die Werkshallen kommen wir an einer Kiste mit Bremssätteln für die BMWM- Modelle vorbei. Jeder Sattel ist brandneu und schaut zum Niederknien aus. „Alles Mist“, sagt Battistella. Warum? „Die haben die Qualitätskontrolle nicht bestanden.“ Wir holen uns einen Sattel aus dem Karton. Die kopfgroße Monoblock-Aluminium- Bremszange hat eine ca. vier Millimeter große, minimale Lackschattierung. „Da, siehst du, Mist.“ Ganz ehrlich: Wenn die Beleuchtung nur minimal schlechter in der Halle gewesen wäre oder draußen im Tageslicht, niemandem wäre dieser Makel aufgefallen. Schon gar nicht verbaut. Auch die anderen „Mist-Zangen“ im Karton weisen kaum erkennbare Makel auf. Trotzdem wird nichts davon an BMW geliefert. „Wir sind Brembo. Wir müssen immer die allerbeste Qualität liefern“, sagt Battistella mit Stolz. Jede Peformance-Bremse wird mehrmals im Fertigungsprozess kontrolliert. Minimalste Makel reichen aus, um das Produkt wieder einzustampfen. Zero Tolerance heißt das heute. In dem Karton liegen zwei Dutzend Bremssättel. Der Verkaufspreis pro Sattel beim BMW-Händler liegt bei mehreren Hundert Euro.

FERTIGUNGSMEISTER

Die Fertigungsstationen sind kurz, bei fast jeder Station sind Mitarbeiter involviert. Entweder zur Maschinen- oder Qualitätskontrolle, oder sie müssen selbst Hand anlegen. Insgesamt ist der Handarbeitsanteil sehr hoch. Jedes Brembo-Produkt erhält einen Produktionscode. Damit lässt sich jeder Arbeitsschritt, vom Rohling bis zum fertigen Produkt, ganz genau verfolgen und ist digital dokumentiert. Bei OE-Teilen werden aus jeder Charge einige Testproben genommen. Bei Performance- Teilen (Aftermarket, Rennsport) wird jedes Teil geprüft. Voller Stolz erklärt Matteo Rampazzo, dass jede Fertigungshalle weltweit exakt gleich aufgebaut und die gleichen Fertigungsschritte implementiert seien. Man könne von innen nicht sagen, wo auf der Welt man sich gerade befände. Das ist insofern bemerkenswert, als Brembo nach eigenen Angaben einen Wettbewerbsvorteil genießt: Niemand sonst könne in einteilige Monoblock-Aluminum- Bremssättel ohne Zusatzbohrungen die Bremskolben einsetzen. Der Vorteil der Monoblock- Fertigung: Aus einem einzigen Materialgussblock fräst Brembo den gesamten Sattel heraus. Dadurch ist der Bremssattel steifer, leichter und besitzt weniger Bauteile, ist somit auch weniger fehleranfällig. Ein Teil der Monoblock-Fertigung ist patentiert und weltweit geschützt.

CARBON-KERAMIK

Die Rennsport-DNA von Brembo ist besonders bei Supersportwagen offensichtlich: Kaum ein Ferrari, Porsche, Lamborghini oder McLaren kommt ohne Carbon-Keramik-Bremsscheiben aus. Der Grund: Auch die High-End-Sportwagen werden immer schwerer, schneller, stärker. Um die sündteuren Edelracer sicher zum Stehen zu bringen, braucht es echte Formel 1-Bremstechnik. Brembo ist der einzige Hersteller weltweit, der Carbon-Keramik- Bremsscheiben für Serienfahrzeuge produziert. Die Basis dafür ist ein Joint-Venture mit der deutschen SGL Group. Carbon-Keramik-Bremsscheiben sind nicht nur deutlich leichter als konventionelle Stahlbremsscheiben, sie sind auch temperaturfester. In Curno konnten wir exklusive Einblicke in die Fertigung erhalten. Als Ausgangsbasis dienen handflächengroße, flexible Carbonsegmente, die eine ähnliche Struktur wie Textilfasern haben und sich auch so anfühlen. Die einzelnen Segmente werden über einen neunmonatigen Prozess chemisch und mechanisch miteinander verbunden. Mehr durften wir über den streng geheimen Fertigungsprozess nicht erfahren. Bei den Formel 1-Boliden kommen reine Vollcarbon-Bremsscheiben mit Carbon-Bremsbelägen in gefrästen Monoblock-Bremszangen zum Einsatz. In den Edelboliden für die Straße werden Carbon-Keramikscheiben mit konventionellen Metallbremsbelägen verwendet.

DATEN & FAKTEN

BREMBO BRAKE-BY-WIRE
Bisher hat Brembo nur Brems- Hardware geliefert. Seit rund drei Jahren forscht der italienische Hersteller an der Brake-by- Wire-Technologie. Dabei gibt es keinen direkten physischen Kontakt mehr zwischen dem Bremspedal und der Bremse, sondern nur ein elektronisches Bremspedal, das die Bremskraft via Bremsservos überträgt. Brembo verspricht sich dadurch eine erhöhte Energierückgewinnung für zukünftige Eund Hybridautos. Und: Über Brake-by-Wire kann man einen eigenen ABS- und ESP-Algorithmus entwickeln.

BREMBO IN ZAHLEN

Jahresumsatz 2018:
rund 2,5 Milliarden Euro

Mitarbeiter weltweit:
über 10.000 Produzierte

Bremsscheiben:
71 Millionen Produzierte

Bremssättel:
11 Millionen

Zu 50,3 Prozent im Besitz der Familie Bombassei

15 Produktionsstandorte weltweit, davon acht in Europa