Das sind die wahren Feinde des Aftersales-Geschäfts

Elektroautos sind kein Stimmungsmacher: Sie brauchen kein Motoröl und kaum Verschleißteile, entsprechend geringer ist der Ersatzteil- und Wartungsbedarf und somit die Serviceumsätze im Aftermarket. Laut einer neuen Studie ist aber alles halb so will – vorerst jedenfalls. Und der wahre Feind ist eine andere Errungenschaft.
Traurig, aber wahr: Die Serviceumsätze pro Pkw gehen tendenziell zurück.

Das geht runter wie Öl: In einer Zeit, in der die Autobranche wenn nicht über die Corona-Krise, dann über langfristig sinkende Umsätze im Schlepptau neuer Trends und Technologien spricht, melden sich die Marktforscher von Bain & Company mit einer überraschend „positiven“ Prognose zu Wort.

Zugegeben, auch sie erwarten rückläufige Geschäfte, dies aber in einem weit weniger dramatischen Ausmaß als es andere Studien zuvor prognostiziert hatten. Die Prognose bis zum Jahr 2035 widerlegt die weitverbreitete Auffassung, nach der bereits in den kommenden Jahren eine wachsende Zahl von Elektrofahrzeugen das Aftersales-Geschäft unter Druck setzen wird.

In ihrer neuen Studie „Aftersales: Der stille Fluch der Fahrassistenzsysteme“ kommen die Unternehmensberater von Bain & Company zu folgender Erkenntnis: Bis 2035 führe die wachsende Verbreitung von E-Autos in den fünf großen europäischen Märkten Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Italien und Spanien lediglich zu einem Umsatzrückgang von 1,9 Prozent. Zusammen mit den Auswirkungen des automatisierten Fahrens soll der Rückgang insgesamt 5,4 Prozent betragen. 

Reifen haben Potenzial

Das erscheint geradezu erfreulich im Vergleich zu dem, was beispielsweise die Experten der Unternehmensberatung Deloitte in einer Studie aus dem Vorjahr prognostiziert hatten: Dort war auf Sicht von 15 Jahren von einem Umsatzrückgang im Aftermarket von 55 Prozent die Rede. Laut der aktuellen Bain-Prognose federt ein insgesamt steigender Fahrzeugbestand die Umsatzeinbußen durch Elektrofahrzeuge und Fahrerassistenzsysteme bis 2035 noch ab. Erst in den Jahren nach 2035 dürfte sich der Rückgang tatsächlich stark bemerkbar machen.

Auch ein steigender Reifenverbrauch kann negative Effekte der Elektrifizierung teilweise kompensieren. Der stärkere Schlupf beim Beschleunigen und Rekuperieren sowie die höhere Fahrzeugmasse sorgen dafür, dass bei E-Autos häufiger die Reifen gewechselt werden müssen. Obendrein haben sie tendenziell größere und damit höherpreisige Reifendimensionen.

Einen wesentlich stärkeren Effekt als die E-Mobilität haben derweil die Fahrerassistenzsysteme. Hierdurch rechnen die Bain-Experten mit einem Minus von 3,7 Prozent beim Aftermarket-Umsatz bis 2035. „Heute gängige Systeme senken die Unfallwahrscheinlichkeit bereits um bis zu 30 Prozent und die Unfallschwere um bis zu 10 Prozent“, erklärt Bain-Partner und Studienautor Eric Zayer. Aus Gründen der Sicherheit sei dies sehr zu begrüßen, die Reparatur- und Ersatzteilbedarf verringere sich freilich dadurch erheblich.

Dabei stünden wir, wie Zayer betont, erst am Anfang des automatisierten Fahrens. Dass die zunehmende Automatisierung der Pkws in den kommenden Jahren stärker auf den Aftersalesmarkt  durchschlägt, als die Elektrifizierung der Antriebe ist insofern schlüssig als Assistenzsysteme den Fahrzeugmarkt bereits stärker durchdringen. Laut Bain werden 2035 zwei Drittel der weltweit genutzten Fahrzeuge über sogenannte Level-1- und Level-2-Systeme verfügen, die ein assistiertes oder teilautomatisiertes Fahren ermöglichen. Hinzu kämen weitere 10 bis 15 Prozent Pkws, die mit Level-3-Systemen ausgestattet sind und bestimmte Fahraufgaben übernehmen können.

Nach 2030 wirkt sich freilich dann sehr wohl auch die wachsende Zahl von Elektrofahrzeugen immer stärker auf den Gesamtmarkt aus. Als Verlierer dieser Markttrends sieht Bain in erster Linie die Autohersteller sowie die markengebundenen Autohäuser. Servicebetriebe, bei denen die Ertragslage schon heute angespannt ist, könnten in eine existenzbedrohende Schieflage geraten.

Neue Chancen nützen

Vor diesem Hintergrund gilt es, sie raten die Experten, für alle Beteiligten, Strukturen und Kosten schon heute an die neuen Rahmenbedingungen anzupassen. Noch konsequenter als bisher sollten brachliegende Ertragspotenziale erschlossen und neue Chancen wahrgenommen werden. Das Spektrum reicht von Versicherungen über das Reifengeschäft bis hin zu Hilfeleistungen, die beim Aufbau einer privaten Ladeinfrastruktur erbracht werden. „Wer sich mit solchen Ansätzen im Servicegeschäft strategisch richtig aufstellt, wird sich vom stillen Fluch der Fahrassistenzsysteme besser befreien als andere“, heißt es in der Studie.

Auf neue Zeiten muss sich die Branche ohnehin schon jetzt einstellen. Denn während das Aftersales-Geschäft in der Vergangenheit stetig gewachsen ist und sogar in weltweiten Finanzkrise 2008/2009 ein Garant für stabile Einnahmen war, so kommt es schon kurzfristig zu einschneidenden Veränderungen durch die Corona-Pandemie. Diese trifft den Aftersales-Markt mit voller Wucht: Während des Lockdowns reduzierte sich in Westeuropa die Fahrleistung um 10 bis 15 Prozent – entsprechend deutlich wird der Umsatz mit Reparaturen, Wartungen und Ersatzteilen im Gesamtjahr 2020 zurückgehen. Eine Erholung zeichnet sich laut Bain & Company nur langsam ab. Denn die Anzahl an neu zugelassenen Fahrzeugen liegt um mehr als 20 Prozent unter den ursprünglichen Erwartungen – und diese Fahrzeuge fehlen dann ja auch wieder im Aftersales.