E-Mobilität: Wo genau steht Österreich?

Elektromobilität
06.09.2021

Die Elektrifizierung des Straßenverkehrs und damit einhergehend die Transformation der Autoindustrie schreiten munter voran. Aber wo genau steht Österreich und wohin geht die Reise? Die KFZwirtschaft macht eine Bestandsaufnahme. 
Bei der  Ladeinfrastruktur besteht Aufholbedarf. Im privaten Bereich sollten Leitungen aber auch nicht überdimensioniert sein.
Bei der Ladeinfrastruktur besteht Aufholbedarf. Im privaten Bereich sollten Leitungen aber auch nicht überdimensioniert sein.

Im bisherigen Jahresverlauf wurden in Österreich mehr als 17.000 neue E-Autos zugelassen. Das ist bereits mehr als im gesamten Vorjahr: 2020 wurden insgesamt 15.972 E-Pkw gekauft. Gegenüber der Vergleichsperiode per Ende Juli schlägt ein Plus von 195,4 % zu Buche. Damit sind nun immerhin schon 11,2 Prozent aller Neuzulassungen elektrisch betriebene Pkw. Der gesamte Bestand an E-Autos summierte sich zum Halbjahresultimo 2021 auf 59.289 Fahrzeuge. 

Die meisten Neuzulassungen gab es heuer übrigens in Oberösterreich mit 3.430 Stück, gefolgt von Niederösterreich und Wien. Schlusslicht in Sachen Elektroautos ist das Burgenland, wo heuer noch keine 500 Stück neu zugelassen wurden. 

Parallel zum Autoabsatz wächst auch die Ladeinfra­struktur rasant: In Österreich gibt es mittlerweile rund 8.600 öffentlich zugängliche Ladepunkte. „Damit befindet sich Österreich im vorderen Drittel Europas“, sagt Andreas Reinhardt. Der neue Vorsitzende des Bundesverbands der Elektromobilität Österreich (BEÖ) will den Ausbau der Ladeinfrastruktur weiter vorantreiben. Der Verband vertritt die Interessen von elf Energieunternehmen in Österreich. „Der nächste wichtige Schritt ist der rasche Ausbau von privaten Lademöglichkeiten in Tiefgaragen in Mehrparteienhäusern.“ 80 bis 90 Prozent der E-Fahrzeuge würden zu Hause oder am Firmen-Parkplatz geladen, wo sie längere Zeit stehen. In dem Bereich sieht der BEÖ-Chef einen „gesetzgeberischen Handlungsbedarf“: Ab Jänner 2022 sollen – nicht zuletzt aufgrund der Bemühungen des BEÖ – rechtliche Hürden der Vergangenheit angehören und die nachträgliche Installation, etwa einer intelligenten Wallbox in Mehrparteienhäusern, wesentlich vereinfacht werden. 

„Wir rechnen hier mit einem deutlichen Anstieg der privaten Ladekapazitäten“, sagt Reinhardt. In Anbetracht der sich verschärfenden Klimasituation brauche es jetzt noch mehr Tempo, damit die Energiewende im Verkehr gemeinsam gelingen kann. „Wie alltagstauglich Elektromobilität bereits heute ist, stellte kürzlich ein großangelegter Feldversuch in einer Wohnhausanlage in Linz sehr eindrucksvoll unter Beweis. Für sechs Monate tauschten 51 Haushalte ihr Verbrenner-Auto gegen ein emissionsfreies Elektroauto – und waren begeistert. In diesem von der TU Wien begleiteten und von der Linz AG mit Partnern durchgeführten Feldversuch konnten wir nachweisen, dass eine vollständige Versorgung bei einem 50-Prozent-Anteil an E-Fahrzeugen durch Einsatz von intelligentem Lademanagement problemlos machbar ist“, erzählt der BEÖ-Vorsitzende. 

Auch Heimo Aichmaier sieht Österreich auf einem guten Weg. Aichmaier ist einer der Top-Experten des Landes in Sachen E-Mobilität. Er beschäftigt sich schon seit 2004 mit dem Thema, war jahrelang für das Verkehrsministerium tätig, leitet die Industrieallianz Austrian Mobile Power und ist Geschäftsführer des Unternehmens Smart Mobility Power. Dieses berät Unternehmen bei der Umsetzung von E-Mobilität, erstellt Umfragen und Analysen, bietet Qualifizierungsmaßnahmen und eine spezielle Software zum Ermitteln des spezifischen Bedarfs sowie Eventkonzepte an. 

Aber was sind nun die größten Herausforderungen, um die E-Mobilität weiter voranzutreiben? „Die Ladeinfrastruktur hat die Reichweite als größte Herausforderung bei der Umsetzung von E-Mobilität abgelöst“, sagt Aichmaier. Auch er betrachtet hierbei den privaten Bereich als entscheidenden Faktor: Unklarheiten rund um die Errichtung von Ladeanlagen in Wohngebäuden oder Garagen würden zu großer Verunsicherung führen. „Da müssen wir Gas geben“, meint der Experte, der sich privat übrigens mit seiner Ehefrau einen Mazda MX 30 sowie einen BMW iX3 teilt. Hier sei auch der Gesetzgeber gefordert, die Komplexität zu reduzieren, plädiert der Experte für weniger Bürokratie. Erfreulich sei, dass im Ladestellen­register mittlerweile nicht mehr nur die Adresse der Ladepunkte angegeben werden müsse, sondern auch Angaben zur technischen Infrastruktur (Stecker, Leistung etc.) sowie zur Preisgestaltung und Zahlungsart gemacht werden müssen. 

Österreich im EU-Vergleich

Im EU-Vergleich schneidet Österreich bei der einschlägigen Ladeinfrastruktur tatsächlich gar nicht schlecht ab – auch in Relation zum Straßennetz. Auf 100 Kilometer Straße kommen hierzulande laut Angaben des Autoherstellerverbandes ACEA 6,1 ­Ladepunkte. Damit ist Österreich europaweit die Nummer 5. Zum Vergleich: In Lettland und Griechenland, den Schlusslichtern innerhalb der EU, sind es gerade einmal 0,2 Ladepunkte pro 100 Kilometer. Das heißt, man muss im Schnitt 500 Kilometer fahren, bis man eine Lademöglichkeit vorfindet. Freilich besteht in Österreich noch viel Luft nach oben: Deutschland bringt es bereits auf 19,4 Ladepunkte je 100 Kilometer, die Niederlande als Spitzenreiter gar auf 47,5. 

Tatsächlich besteht in Österreich laut Experten noch viel Handlungs- und auch Aufklärungsbedarf: „Die Leitungen müssen dorthin, wo die Autos stehen und sie dürfen nicht überdimensioniert sein“, sagt Aichmaier im Gespräch mit der KFZwirtschaft. Meist würden nämlich quasi automatisch Leitungen gewählt, die man so gar nicht benötige. „Wenn jemand beispielsweise zehn Parkplätze mit Ladestationen errichtet, braucht er nicht unbedingt zehn Mal 11/22 kW. Es stehen in der Regel ja nicht alle zehn Autos gleichzeitig dort, können auch technisch oft nur weniger nutzen und die müssen auch nicht immer gleichzeitig von null auf 100 Prozent geladen werden,“ so der E-Mobilitäts-Experte. Hier könne man viel Geld sparen, weil nicht immer die entsprechenden Leitungen verlegt werden müssten. 
Generell gelte es, individuelle Konzepte zu erstellen, die notwendige Leistung und Infrastruktur zu ermitteln. Auch die Stromlösungen würden individueller und dezentraler, etwa durch das Zusammenspiel mit Fotovoltaik-Anlagen oder Pufferspeichern. Hier eröffnen sich laut Aichmaier auch neue Geschäftsfelder. 

Generell sieht er – bei allem Verständnis dafür, dass viele Werkstattbetreiber*innen in Anbetracht eines geringeren Wartungsaufwands etwa durch ausbleibende Ölwechsel bei E-Autos Zukunftsängste haben – durchaus auch Chancen für neue Einnahmequellen. Sein Tipp: „Man sollte dem Kabel folgen und schauen, welche Services es dazu gibt.“ Das beginnt bei der Bereitstellung von Ladeinfrastruktur bis hin zur Servicierung selbiger, die man mit einem Elektriker im Team übernehmen könnte. 

Um die Stromversorgung braucht man sich indessen keine Sorgen machen: „Es sind nicht die E-Autos, die unsere Netze stressen“, sagt Aichmaier. Im privaten Bereich werde häufig am normalen Strom­anschluss geladen – „batterieschonend und netzdienlich“. Und überhaupt: Selbst wenn, theoretisch, alle Autos auf einen Schlag ausgetauscht würden, bräuchte es nur um 20 Prozent mehr Stromkapazität, so der Experte. Tatsächlich aber schreitet der Umstieg auf „Steckerfahrzeuge“ ja sukzessive voran. Und so sei nur punktuell ein Ausbau der Netze notwendig. Noch dazu würden viele Autos über Nacht geladen, wo ja ohnehin genug Kapazitäten vorhanden seien. 

Am Strom wird’s nicht scheitern

BEÖ-Chef Reinhardt meint: „Aktuell werden in Österreich wesentlich mehr Erzeugungskapazitäten wie Wind- und PV-Anlagen zugebaut, als die neu in Betrieb genommenen Elektroautos Strom benötigen.“ Und das werde noch eine Weile so bleiben: „Wenn wir alle ca. 5 Millionen Pkw durch Elektroautos ersetzen, steigt der Stromverbrauch in den nächsten 40 Jahren um 18 Prozent, das ist eine bewältigbare Aufgabe.“ Was allerdings richtig sei: „Die benötigte Leistung – wenn alle E Autofahrer abends gleichzeitig ihr Auto anstecken – wird das Stromnetz vor Herausforderungen stellen.“ Hier werden laut Reinhardt Investitionen und intelligente Lösungen erforderlich sein, um das gleichzeitige Laden vieler Elektroautos zu ermöglichen. „Wir sprechen allerdings von einem Zeitraum von 30 bis 40 Jahren, in dem ein Netzausbau stattfinden wird müssen.“ Die Gefahr von Versorgungslücken sieht er freilich nicht. Die Energieversorger seien schon früh in Vorleistung gegangen und haben ein österreichweites Netz an Ladepunkten aufgebaut, das weiter ausgebaut werde. 

Die Reichweite ist unterdessen laut Aichmaier kein Thema mehr. Und das nicht nur, weil die Batterietechnologien weiterentwickelt wurden: „Unsere jüngste Umfrage zu dem Thema ergab, dass 91 Prozent der Wege an einem Arbeitstag unter 100 Kilometern liegen. Über zwei Drittel der elektrisch gefahrenen Wege an Arbeitstagen liegen sogar unter 50 Kilometer“, berichtet der Smart Mobility Power-Chef von einer von seinem Unternehmen durchgeführten Untersuchung. Und selbst am Wochenende würden nur ein Prozent der Befragten mehr als 300 Kilometer fahren. „In Niederösterreich, wo ja tendenziell eher größere Strecken überwunden werden müssen, liegt die durchschnittliche Fahrleistung insgesamt bei rund 60 Kilometern pro Tag“, sagt Aichmaier. All diese Distanzen seien für E-Autos überhaupt kein Problem. 

Und wie wird sich der Markt weiterentwickeln? BEÖ-Chef Reinhardt erwartet weiteres rasantes Wachstum: „Wir stehen am Beginn einer Mobilitätswende: Elek­tro- überholt Dieselmotor! Getrieben wird dieser Trend durch verschiedene finanzielle Anreize, vom Ankauf eines E-Autos bis hin zur Förderung von privaten Ladestationen. Und zusätzlich wächst mit dem Angebot an alltagstauglichen Modellen auch das Vertrauen der Bevölkerung in alternative Antriebsformen.“ Bei den Neuzulassungen an E-Pkw liege Österreich schon jetzt deutlich über den Prognosen, die sich am Erreichen der Klimaziele orientieren.