„Leidensdruck ist überall“

Interview
28.07.2016

 
Die KFZ Wirtschaft stattete der CarGarantie in Freiburg in Breisgau einen Besuch ab und bat Vorstandsvorsitzenden Axel Berger zum Interview.
Axel Berger, Vorstandsvorsitzender der  CarGarantie, im KFZ Wirtschaft-Interview.

KFZ Wirtschaft: Herr Berger, wie läuft das heurige Jahr für die CarGarantie?
Axel Berger: Das Jahr läuft europaweit für die Branche sehr gut. Zum Beispiel gilt in Deutschland der Grundsatz, dass über drei Millionen Neuzulassungen gut sind und unter drei Millionen eher schlecht. Das aktuelle Jahr wird, sollte nichts dazwischen kommen, voraussichtlich 3,6 Millionen Neuzulassungen bringen. Wir haben also ein gutes Autojahr. Auch Österreich entwickelt sich ähnlich gut, die Konjunktur ist stabil, unsere Entwicklung in Österreich ist überaus erfreulich. Wir sind im letzten Jahr um rund sechs Prozent gewachsen. Auch in diesem Jahr konstatiere ich diese Tendenz, und wir werden wohl in allen Märkten wachsen. Ich bin selbst oft überrascht, dass es uns gelingt, kontinuierlich neues Geschäft zu generieren. Denn in vielen Ländern sind wir bereits mit zahlreichen Herstellerorganisationen vertraglich verbunden, so dass ein weiteres Wachstum eher schwierig erscheint. Somit knüpfen wir insgesamt an unseren Erfolg von letztem Jahr mit rund 235 Millionen Euro Beitragseinnahmen an.

Inwieweit schöpfen die Händler Ihrer Meinung nach die Potenziale am Point of Sale in puncto ­Finanzierungspenetration aus?
Auf Grund des weiter vorangeschrittenen Konzentrationsprozesses nimmt meines Erachtens auch der professionelle Auftritt in allen Belangen zu. Insgesamt gibt es allerdings noch Potenziale, vor allem im Bereich der Sekundärprodukte wie Finanzierung oder Garantien. Wir müssen es aber positiv sehen. Wenn überall die Kundenbindung bereits perfekt wäre, hätten wir nichts mehr zu tun. 

Weshalb wird das Potenzial nicht ausgeschöpft?
Ich nenne jetzt einmal das Beispiel Serviceberater: Oftmals ist der Kunde selbst im Stress, und der Serviceberater hat eine lange Liste, was er dem Kunden möglichst alles verkaufen soll. Vom Typ her betrachtet will das der Serviceberater gar nicht. Er will im Grunde dem Kunden nichts verkaufen, sondern reparieren. Ähnlich verhält es sich beim Verkäufer. Wenn beispielsweise der Kunde im Begriff ist, ein Auto zu kaufen, hat ihn der Verkäufer sozusagen endlich so weit, dass er den Kaufvertrag unterschreibt. Und dann soll er ihm noch dies und das dazu verkaufen. Viele Verkäufer sind dann lieber still und warten darauf, dass der Kunde die Unterschrift leistet. Generell muss man aber sagen: Die Professionalisierung im Autohaus bezüglich der Sekundärleis­tungen ist in den letzten Jahren deutlich vorangeschritten.

Ist der Leidensdruck bisweilen noch zu gering, um sämtliche Potenziale auszuschöpfen?
Ich sehe es umgekehrt. Leidensdruck ist überall da. Vor allem, wenn man die Umsatzrenditen betrachtet. Ein Beispiel aus der Frühzeit des Garantiesystems, das heute wohl aus arbeitsrechtlicher Sicht eher bedenklich ist: Bei einem Händler haben wir beim Verkauf von Zusatzgarantien keinen Erfolg gehabt. 30 Kilometer entfernt war jedoch ein Händler, der hatte fast 80 Prozent Penetration. Der Geschäftsführer hat dann festgelegt, jeder Verkäufer, der ein Auto ohne Anschlussgarantie verkauft, muss dieses auf einer DIN A4-Seite handschriftlich begründen. Von einen Tag auf den anderen wollten die Kunden auf einmal eine Garantie abschließen, so dass er eine Penetration von 70 Prozent erreichte. Oftmals scheitert es an menschlicher Bequemlichkeit.

Wie sehen Sie die Zukunft des Autohauses? Werden die Kunden in zehn Jahren noch Wert auf die Probefahrt legen, auf die persönliche Beratung, auf den Schauraum etc.?
Wenn ich Händler wäre, würde ich mir sehr genau überlegen, ob ich beispielsweise in den Schauraum inves­tiere. Heute ein Autohaus zu bauen, das die gesamte Produktpalette im Schauraum widerspiegelt, halte ich nicht für sinnvoll. Ich gehe eher davon aus – gerade wegen der  digitalen Möglichkeiten – dass es fortan so aussehen wird: Wenn etwa jemand zum Beispiel zum Mercedes-Händler kommt und eine E-Klasse möchte, dann wird eine E-Klasse hergefahren wegen der Haptik. Alle Detailfeatures wie Farbe, Innenausstattung etc. werden auf entsprechenden hochauflösenden Bildschirmen projiziert. 

Das Autohaus an sich hat also kein Ablaufdatum?
Grundsätzlich wird das Autohaus in jedem Fall weiterhin gebraucht werden. Autos ausschließlich über die Hersteller oder übers Internet zu verkaufen, das wird nicht funktionieren. Früher haben Kunden im Schnitt zwischen vier- und fünfmal das Autohaus besucht, bis sie sodann das Auto gekauft haben. Heute liegt die Zahl zwischen ein- und zweimal. Das heißt: Du hast de facto nur eine Chance. Andererseits: Dieser permanente Fokus aufs Digitale ist auch mit Vorsicht zu genießen. Letztlich werden Geschäfte immer noch zwischen Menschen gemacht. Selbstverständlich muss das Preis-Leistungsverhältnis stimmen. Aufgrund der Preistransparenz im Intranet sind die Kunden heute sehr gut informiert, so dass man faire und konkurrenzfähige Preise als Händler anbieten muss. Produkte jedoch werden immer ähnlicher, daher geht es in erster Linie darum, eine gute Kundenbeziehung aufzubauen. Die meisten Menschen sehnen sich auch danach – vor allem im schnellen digitalen Zeitalter.

Und im Aftersales?
Die viel größeren Probleme sehe ich im Werkstattbereich. Überall in Europa leben die Autohäuser mittlerweile größtenteils vom Service. Was mache ich, wenn die Schadensaufkommen weiter zurückgehen? Was, wenn ich kein Motoröl mehr verkaufe, weil wir nur noch Elektromobile haben? Ich habe kürzlich einen Satz gelesen, den ich einfach nur gut finde: Wir können die Zukunft nicht vorhersehen, aber wir müssen uns drauf einstellen. Der Autohandel muss flexible sein und wendig.

Wie sehen Sie das Thema „individuelle Mobilität“?
Das Thema „individuelle Mobilität“ wird nie zu Ende sein. In irgendeiner Form wird diese immer stattfinden. Dass das Automobil nicht mehr ganz so sehr Statussymbol ist wie früher, ist allerdings auch Tatsache. Dennoch fasziniert das Automobil nach wie vor, und alternative Techniken begeistern.

Wie ist die Zukunft Ihres Geschäftes?
Es gibt Tendenzen, dass wir unser Portfolio stark erweitern. Auch deshalb, da immer mehr Hersteller dazu übergehen, die Werksgarantien zu verlängern. 

Wie reagieren Sie darauf?
Wir erweitern unsere eigene Produktpalette. Etwa Reifengarantien, E-Bikes, Garantien nach Service und Wartung et cetera. Zudem expandieren wir weiter. Wir werden in diesem Jahr noch in Dänemark aktiv werden. Außerdem in Thailand, Malaysia und Singapur. Zu den derzeitigen 19 Ländern, in denen wir aktiv sind, kommen also noch vier dazu. Ein wesentlicher Trend ist jedoch auch, dass wir unsere Servicedienstleistungen rund um die Garantie als Serviceprovider den Herstellern und Importeuren zur Verfügung stellen und somit bestehende Kooperationen weiter verfestigen.

Wie geht es Ihnen spezifisch in Österreich?
Wir sind mit unserem Status quo in Österreich sehr zufrieden. Österreich ist für uns nach Deutschland der Markt mit der höchsten Penetrationsrate. Das waren im letzten Jahr rund 40.000 Garantien. Wir haben in Österreich einen Marktanteil von 15 bis 20 Prozent, und das ist ordentlich. Besonders freut uns, dass wir in einem Markt, in dem wir bereits lange vertreten sind, immer noch neue Partner gewinnen konnten, aufgrund unseres guten Preis-Leistungsverhältnisses und unserer hohen Kompetenz in Sachen Garantie.

Die CarGarantie wird weder bei der Automechanika im September noch bei der AutoZum im Jänner mit einem Stand vertreten sein. Warum nicht?
Wir haben tatsächlich ja nichts „Physisches“ zu präsentieren. Für uns ist eine Messe eine Kontakt­stelle, ein Kommunikationszentrum. Wir haben festgestellt, dass unsere wichtigen Ansprechpartner immer weniger zu Messen kommen. Irgendwann sind wir zu dem Schluss gekommen, dass wir das Geld besser in konkrete Maßnahmen und Produkte sowie spezielle Aktionen für unsere Händler investieren. Wir werden aber wie gewohnt vor Ort sein, wenn auch ohne Stand, um unsere Partner zu treffen.