Golf IV: Mechanischer Verschleiß

Diagnosekrimi
16.09.2021

Ein 20 Jahre alter Golf IV landet mit einem Defekt als Lehrmittel in der Wiener Siegfried Marcus Berufsschule. Im Praxisunterricht finden die Schüler der 4. Klasse heraus, warum sich der Motor immer wieder bei Vollgas verschluckt und machen den betagten Kompakten wieder flott.
Fachlehrer Oliver Volk (2.v.l.) und seine Schüler Rinor Berisha, Hubert Harasimowicz und Luca Schneider (v.l.)
Fachlehrer Oliver Volk (2.v.l.) und seine Schüler Rinor Berisha, Hubert Harasimowicz und Luca Schneider (v.l.)

Für Berufsschullehrer Oliver Volk sind alte Autos mit versteckten Fehlern die besten Lehrmittel, um seinen Schützlingen die Feinheiten der Fahrzeugdiagnose beizubringen. In vielen Fällen erkennt das elektronische Diagnosegerät zwar den Fehler, doch auf der Suche nach der Defektursache sind Knowhow, logisches Denken und Geduld beim Überprüfen verschiedener Komponenten gefragt. So auch bei einem 20 Jahren Golf TDI Trend 74 AG5 mit 1,9 Liter Turbodieselmotor, der mit einem Kilometerstand von 152.830 im Lehrmittelfuhrpark der Siegried Marcus Berufsschule landet. Zuletzt hatte der ÖAMTC den Fehlerspeicher ausgelesen und den Eintrag „Ladedruck Regelgrenze“ gelöscht. Die von den Pannenhelfern protokollierte Kundenaussage: „Das Auto hat bei voller Beschleunigung ab und zu keine Leistung.“ Die Viertklassler machen sich ans Werk, der Ursache auf den Grund zu gehen und führen ein Protokoll, das hier als authentischer Diagnosekrimi wiedergegeben wird:

  • Mit dem Diagnosegerät suchen wir die Fahrzeugdaten und lesen den Fehlerspeicher aus. Dort ist allerdings nichts gespeichert, da ihn der ÖAMTC gelöscht hat.
  • Nach einer ausgiebigen Sichtprüfung fallen keine Mängel durch Marderbiss oder Verschleiß auf. Wir konzentrieren uns auf die leistungsrelevanten Systeme.
  • Wir führen den Prüfablauf für die AGR durch – dieser steuert das AGR-Ventil an, 20 Sekunden auf und 20 Sekunden zu, in Abhängigkeit der Luftmasse.
  • Während des Prüfablaufs tritt ein Fehler auf, der Motor fängt stark zu Ruckeln an, der Tester bricht den Prüfablauf ab. Für uns ist das ein Zeichen, dass die Verbrennung nicht in Ordnung ist. In Frage kommt ein Luftmangel bei zu viel Abgas oder zu wenig Luft vom Turbolader bei erhöhter Drehzahl - dies wollen wir uns ansehen. Wir prüfen das AGR-Ventil manuell mit einer Unterdruckpumpe. Fazit: Das AGR-Ventil ist trotz starker Verkokung in Ordnung.
  • Jetzt schauen wir uns die Ansaugluft und den Abgasturbolader an. Wir steuern den Turbolader mit dem Tester an, ähnlich wie beim AGR, 20 Sekunden ein und 20 Sekunden aus. Die Reaktion sagt zwar aus, dass die Ansteuerung passen müsste, doch betrifft dies nur die elektronischen und nicht die mechanischen/pneumatischen Systeme.
  • Wir entscheiden uns dafür, den Turbolader und die Leitungen mechanisch zu überprüfen. Bei den Unterdruckleitungen und Ladedruckleitungen sind keine Fehler festzustellen. Wir schließen eine  Unterdruckpumpe an die Regeldose an um diese auf Dichtheit zu überprüfen. Ergebnis: Bis 0.7 bar bewegt sich die Regelstange nur ein wenig. Wir helfen mit der Hand nach und drücken auf die Regelstange, die nun mit einem deutlich hörbaren Klacken auf den vorgesehenen Anschlag springt.
  • Der Fehler ist gefunden, der Fall gelöst. Interessant an diesem Fehlerbild ist, dass die Regelstange offenbar durch die Wärmeausdehnung schwergängig wird und manchmal hängen bleibt. Je nach Häufigkeit und Fahrprofil wird der Fehler in der Regelung erkannt oder nicht.

Erkenntnis:

Zweifellos nimmt eine gründliche Fehlersuche mehr Zeit in Anspruch als der simple Austausch der Komponenten, die vom Diagnosegerät als Fehlerquelle erkannt werden.

+ Berufsschüler lernen von engagierten Fachlehrern, wie man Defekten auch dann auf die Spur kommt, wenn das Diagnosegerät unklare oder irreführende Fehlermeldungen anzeigt.

+ Bei älteren Fahrzeugen kann die Reparatur eines defekten Aggregates trotz höheren Zeitaufwandes billiger kommen als der Austausch gegen ein neues, teures Ersatzteil.