Marktanalyse

Gebrauchtwagen: So lange wird die Verknappung noch andauern

Gebrauchtwagen
14.06.2022

Von: Redaktion KFZ Wirtschaft
Der heimische Gebrauchtwagenmarkt ist auf einem Allzeithoch – noch nie waren gebrauchte Autos mehr wert. Damit spiegelt der GW-Markt haargenau die ökonomischen Gesetze wider, mit all ihren Vor- und Nachteilen für die Branche. Eine Analyse.

Jeder Ökonom kennt die marktwirt­schaftliche Grundformel schlechthin: Angebot und Nachfrage be­stim­men den Preis. So weit, so bekannt. Seit der Finanzkrise 2008 werden die neoliberalen Wirtschafts­grundsätze immer öfter angezweifelt, denn „der Markt“ reagiert mitunter unvorhersehbar. Sehr zum Ärger der Währungshüter, deren Niedrigzinspolitik eine Geldschwemme lostrat, die nun durch die Pandemie und den Krieg in der Ukraine eine kaum in den Griff zu bekommende Inflationsexplosion zur Folge hat. Schlechte Nachrichten: Viel haben Weltbank und Co. nicht mehr im Köcher. Kurz: Uns droht Übles. Was das mit dem heimischen Gebrauchtwagenmarkt zu tun hat? Nun, der funktioniert genauso, wie es einem die Volks- und Betriebswirte aus dem Lehrbuch erklären: Ist die Nachfrage groß und das Angebot niedrig, dann steigt der Preis. Mit dem Effekt, dass der GW-Markt in den vergangenen zwei Jahren auf ein Allzeithoch geklettert ist. Grund zum Jubeln? Je nachdem, auf welcher Seite man steht. 

Echte Verknappung

Alexander Scheinwender, Geschäftsführer von DAT Austria, fasst die Situation wie folgt zusammen: „Wir beobachten zwei Trends: Erstens, die Anzahl der gehandelten Gebrauchtfahrzeuge ist 2022 stabil bei ca. 65.000 Stück pro Monat, aber um 9,3 Prozent unter dem Vergleichszeitraum 2021 – laut Statistik Austria. Zweitens steigen die Preise von Gebrauchtfahrzeugen je nach Alter und Segment um bis zu 12 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Über alle beobachteten Modelle ergibt sich, basierend auf unseren Recherchen, eine durchschnittliche Erhöhung um 3,9 Prozent.

Die Hauptursache beider Trends liegt in den langen Lieferzeiten von Neufahrzeugen, der Unsicherheit beim Konsumenten über die nähere Zukunft und der damit verbunden längeren Haltedauer von gebrauchten Fahrzeugen.“ Wer mit größeren Händlern spricht, bekommt schnell zu hören: „Der Markt ist leergekauft.“ Denn nicht nur der Privat-Pkw-Markt ist bereits überschaubar geworden, auch die großen Flotten- und Leasing-Rückläufer sind kaum zu ergattern.

Das Problem: Weder Mietauto­firmen noch große Firmenflotten bekommen ihre bestellten Neuwagen, die Mitarbeiter*innen brauchen aber trotzdem einen fahrbaren Untersatz. Für Flottenchefs eine delikate Angelegenheit: Einerseits ist sein Gebrauchtwagenfuhrpark noch nie mehr wert gewesen, andererseits nutzt ihm das nichts, weil würde er den Fuhrpark zu Geld machen, gäbe es keine echten Alternativen. Es muss weitergefahren, weitergewartet und -repariert werden und der GW-Markt bleibt in Sachen Angebot mager. 

Krise als Preistreiber

Am profitabelsten ist aktuell privater Autobesitz. Der Pkw-Wert ist im Schnitt auf einem Allzeithoch und selbst Nischenmodelle oder betagtere Geräte finden eintauschwillige Händler. ­Michael Gawanda, Head von Auto & Motor bei willhaben.at, sagt dazu: „Wir beobachten aktuell eine wohl einzigartige Entwicklung“ (mehr im Interview auf Seite 14). Bei Auto1.com (dem Unternehmen hinter wirkaufendeinauto.at und Autohero) geht das Wachstum munter weiter: Im 1. Quartal 2022 konnte die Gruppe gesamt 169.610 Autos verkaufen – rund 30 Prozent mehr im Vergleich zum Vorjahr.

Aber viel interessanter ist, dass sich der Umsatzerlös pro Einheit ebenfalls um über 30 Prozent erhöht hat. Ein klares Indiz dafür, dass die Vermarktungspreise deutlich angezogen haben. Spannend, wenn auch nur eine Randnotiz: Laut Auto1.com zieht nun auch das Interesse der Autohändler am Handel mit gebrauchten E-Autos an. Anders gesagt: Der Handel spürt jetzt – und stellt sich darauf ein – dass die ersten Stromer auf den Hof kommen. Das hat auch Alexander Vysek, Head of Sales bei AutoScout24.at und Gebrauchtwagen.at, in der Mai-Ausgabe im Interview mit der KFZwirtschaft bestätigt: „Der Gebraucht-E-Automarkt explodiert geradezu: Von Februar bis März 2022 waren es um 48 Prozent mehr.“ Er verortet vor allem die hohen Spritpreise als Treiber dahinter.

Wohin geht die Reise?

Vysek möchte sich nicht festlegen. Er glaubt, dass die Preise noch etwas steigen können, wennn auch nicht mehr in der bisherigen Dynamik. Eine Entspannung sei erst in Sicht, wenn sich das Angebot durch bessere Lieferfähigkeit der Hersteller bei Neuwagen wieder erhöhe. Alexander Steinwender von DAT Austria wird konkreter: „Basierend auf unseren Daten und der aktuellen Faktenlage sehen wir allerdings eine Verlangsamung der Preiserhöhung und somit ein Plateau erreicht.“

Schenkt man den Analysten der Automobilindustrie Glauben, wird die Neuwagenknappheit noch bis Anfang 2024 andauern. Bis dahin muss man sich auf einen knappen und hochpreisigen GW-Markt einstellen. Denn wie man sieht: Der Gebrauchtwagenmarkt folgt strikt der Marktlogik von Angebot und Nachfrage.