Continental-Chef Mirco Brodthage im Interview

Semperit
11.04.2019

 
MIRCO BRODTHAGE fungiert seit Anfang des Jahres als Geschäftsführer der österreichischen Vertriebsorganisation der Continental AG.

Im KFZ Wirtschaft-Interview bricht Brodthage eine Lanze für den Fachhandel, spricht sich gegen „kurzfristige Erfolge“ aus und verrät, wie die Marke Semperit fortan positioniert wird.

KFZ Wirtschaft: Herr Brodthage, wie war Ihr Start? Mirco Brodthage:
Aus meiner Sicht sehr positiv. Ich habe hier eine überaus gut funktionierende Mannschaft vorgefunden, die motiviert und erfolgreich ist. Ich habe mich hier von der ersten Sekunde an wohl und gut aufgehoben gefühlt.

Wie ist 2018 gelaufen?
2018 war ein gutes Jahr für uns. Das Sommergeschäft war unterm Strich zufriedenstellend. Das Wintergeschäft lief vor allem auch deshalb sehr gut, weil es bis ins heurige Jahr andauerte. Der Jänner beispielsweise war ein äußerst starker Monat. Wir haben davon profitiert, dass wir noch Ware zur Verfügung hatten.

„Je komplexer das Geschäft wird, desto mehr Chancen hat der Fachhandel, seine Kompetenz unter Beweis zu stellen.“ MIRCO BRODTHAGE, GF DER ÖSTERREICHISCHEN VERTRIEBSORGANISATION DER CONTINENTAL AG

Welche Ziele gibt es für heuer?
Unser primäres Ziel ist es, unsere Kunden zufriedenzustellen. Alle anderen Ziele sind nachgelagert. Und wir wollen selbstverständlich weiter wachsen. Mir geht es weniger um quantitatives Wachstum, denn dieses folgt der Qualität in der Marktbearbeitung. Wir sind nicht auf kurzfristige Erfolge aus.

Wie ist Ihr nachhaltiger Weg?
Ein nachhaltiger Weg geht immer von Kundenbedürfnissen aus. Wir bedienen den B2B-Markt, nicht den Endverbraucher. Der B2B-Markt wird vom Endverbraucher beeinflusst. Es gilt darauf zu achten, in welche Richtung sich der Markt entwickelt und in welche Richtung sich die Kunden entwickeln.

Was sind die wesentlichen Anforderungen des Fachhandels an Sie als Industrie?
Wesentlich sind die Prozessanforderungen. Jeder Betrieb hat genug zu tun, um die privaten und gewerblichen Kunden zufriedenzustellen. An uns liegt es, für optimale Rahmenbedingungen im Alltagsprozess zu sorgen. Es muss leicht sein, mit uns Geschäfte zu machen. Wichtig sind Ansprechpartner vor Ort. Äußerst wichtig ist zudem das Thema Logistik, das aus meiner Sicht immer relevanter wird. Wir müssen in der Lage sein, jeden Reifen in Österreich innerhalb von 24 Stunden zu distribuieren. Das ist eine hohe Anforderung, weil die Artikelkomplexität signifikant gestiegen ist und weiter steigen wird.

Das Geschäft wird noch beratungsintensiver?
Absolut. Es wird immer schwieriger für den Endverbraucher, den korrekten Reifen für sich zu identifizieren. Das ist eine riesige Chance für den Fachhandel, seine Beratungskompetenz zu erfüllen.

Hat der Reifenfachhandel eine Zukunft?
Ja, in jedem Fall. Weil es komplexer werden wird. Der Reifen an sich ist ein technisches und auch ein digitales Produkt. Das Reifendruckkontrollsystem war der erste Schritt. Der nächste Schritt wird sein, dass ein Reifen mehr erhebt als nur den Druck. Wir haben selbst mit ContiSense und ContiAdapt zwei Technologiekonzepte, die die kontinuierliche Überwachung des Reifenzustandes ermöglichen sowie eine individuelle Anpassung der Leistungseigenschaften des Reifens auf aktuelle Fahrbedingungen. Je größer die Komplexität ist, desto mehr Chancen hat der Fachhandel, seine Kompetenz unter Beweis zu stellen.

„Wir müssen in der Lage sein, jeden Reifen in Österreich innerhalb von 24 Stunden zu distribuieren.“ MIRCO BRODTHAGE

Wurde das RDKS vom Fachhandel optimal genutzt, um Kompetenz zu zeigen?
Aus meiner Sicht schon. Ich habe es so wahrgenommen, dass man spät begonnen hat, sich mit dem Thema zu beschäftigen, aber dann sehr professionell. In unserer Branche passiert ja nichts Disruptives, alles ist im Grunde vorhersehbar. Es war vorhersehbar, dass irgendwann die ersten Fahrzeuge mit RDKS auf dem Hof stehen würden. Letztlich hat der Reifenfachhandel die Thematik RDKS sehr gut genutzt, um seine Service- und Dienstleistungskompetenz zu beweisen. Tendenziell geht der Fachhandel weg vom reinen Produktvertrieb – die Marge wird immer geringer – hin zur Dienstleistung, wo die Erträge mehr werden.

Das heißt, in puncto Dienstleistung wird noch mehr kommen?
Ich denke Ja. Wenn wir in fünf oder zehn Jahren Reifen haben, die mit dem Fahrzeug digital vernetzt sind, dann wird alles komplexer und es entsteht ein Mehr an Beratungsbedarf. Der Endverbraucher sieht nur ein Produkt, das sich in den letzten Jahrzehnten äußerlich praktisch nicht verändert hat. Aber die Qualität hat sich deutlich verändert.

Sollte die Industrie den Reifen nicht stärker als Hightech-Produkt positionieren und endlich von dem unseligen Ausdruck „Low Interest Product“ wegkommen?
Zweifellos. Wobei der Endverbraucher für derartige Nachrichten nicht wirklich empfänglich ist. Er beschäftigt sich im Schnitt alle vier Jahre mit so einem Produkt. Das Interesse ist aber begrenzt.

Worauf sollte die Industrie setzen?
Sicherheit bleibt der essenzielle Faktor, zumal er Emotion beinhaltet. Wir haben im Konzern ja die Vision Zero, die Idee des unfallfreien Fahrens. Und dazu gehört eben auch die Sicherheit des Reifens. Je besser der Reifen, desto weniger Unfälle. Das sind auch Emotionen. Die Kommunikation versuchen wir über den Reifenfachhandel herzustellen. Wir unterstützen mit Unterlagen und Schulungen.

Wie sehen Sie die Marktsituation in Österreich?
Ich befürworte die Strategie, eine Organisation so aufzubauen, dass sie für jegliche Veränderungen gewappnet ist. Es gibt de facto keinen reinen Großhandel mehr in Österreich. Dafür hybride Kunden, die im Retail- und im Großhandelsbereich existent sind. Man muss nun schauen, wohin die Reise geht. Der Retailbereich hat sich stark entwickelt, und das ist schon mal ganz gut. Der Großhandel hat ja in den vergangenen Jahren in Europa seine zwei Kernkompetenzen ausgelagert: zum einen die Logistik, zum anderen den Vertrieb. Der wurde über Plattformen abgewickelt.

Die Marke Semperit soll verstärkt bei jungen Menschen etabliert werden. Wie läuft das ab?
Wir haben festgestellt, dass die Marke Semperit bei jungen Menschen deutlich weniger bekannt und renommiert ist als bei älteren Menschen. Wir versuchen beispielsweise über soziale Medien an junge Endverbraucher zu kommen, die im Übrigen auch oftmals eine ganz andere Vorstellung von Mobilität haben, zumal ein eigenes Auto seltener als Statussymbol gesehen wird.

Sie haben im Jänner den VRÖ-Award in Silber überreicht bekommen. Wie wichtig ist eine derartige Auszeichnung?
Sehr wichtig. Weil es ein direktes Feedback der Kunden ist. Es ist uns wesentlich, wie uns unsere Kunden sehen, um unentwegt unsere Logistik, unseren Service et cetera zu optimieren.

Welchen Einfluss wird Elektromobilität auf das Reifengeschäft haben?
Alle Mobilitätskonzepte der Zukunft brauchen Reifen. Unsere Kunden werden sich wandeln müssen – Stichwort: Wartungsarmut von E-Autos –, aber das tun sie seit Jahrzehnten ohnedies.

Autohaus versus Reifenfachhandel: Wird’s hier künftig große Verschiebungen geben?
Früher gab es Werkstätten, Reifenfachhändler und Autohäuser. Zwei Modelle haben sich stark angenähert: Werkstatt und Reifenfachhandel. Wir sind demgemäß aufgestellt: Wir haben einen Bereich fürs Autohaus und einen für den Fachhandel.

Der Sommerreifentest des ÖAMTC 2019 brachte für den Semperit Van-Life 2 ein „nicht empfehlenswert“, „sehr schwach bei Nässe, Schwächen auf trockener Fahrbahn“. Wie geht es Ihnen damit?
Das war zum ersten Mal ein Transporter-Test, das sind Reifen für gewerbliche Kunden. Die wichtigste Anforderung für diese Klientel ist Langlebigkeit. Da geht es um einen Zielkonflikt, der sich auftut. Reifen herzustellen ist immer ein Kompromiss. In diesem Fall wurden im Transporterbereich Reifen auf signifikante Sicherheitseigenschaften getestet und mit Pkw-Reifen verglichen. Wir nehmen in jedem Fall jede Kritik ernst. Unsere Entwickler in Hannover arbeiten täglich daran, unsere Reifen noch besser zu machen.

Worauf sollte sich der Fachhandel konzentrieren?
Ich denke, der Fokus sollte vor allem auf den Prozessen liegen. Zum einen wegen des Convenience- Aspektes, sprich: Der Endverbraucher will dieses Thema schnell und einfach erledigt haben. Zum anderen geht es um die internen Prozesse, weil es da um Kosten geht. Optimierte Prozesse sparen Geld. Und: Man muss seine Beratungskompetenz nach außen hin zeigen. Einerseits in der Außendarstellung des Betriebs, andererseits online.

DATEN & FAKTEN

Mirco Brodthage fungiert seit Anfang des Jahres als Geschäftsführer der österreichischen Vertriebsorganisation der Continental AG. Bisher zeichnete Brodthage für den Pkw-Reifenvertrieb an den Handel in Deutschland verantwortlich. Er folgte nun auf Kristjan Ambroz, der als Marktleiter bei Continental in Russland tätig ist.