Interview

Wie freie Werkstätten den Wandel überleben

Werkstatt
15.06.2023

 
Bundesinnungsmeister Roman Keglovits-Ackerer gibt im Interview einen Ausblick auf kommende Chancen und Herausforderungen für die freie Werkstatt.
Bundesinnungsmeister Fahrzeugtechnik Roman Keglovits-Ackerer
Bundesinnungsmeister Fahrzeugtechnik Roman Keglovits-Ackerer

AUTOMOTIVE.AT: Welche sind aktuell die größten Herausforderungen für freie Werkstätten?

ROMAN KEGLOVITS-ACKERER: Aus meiner Sicht sind das die folgenden fünf Punkte:

  1. Technologischer Wandel: Die Automobilindustrie befindet sich in einem raschen technologischen Wandel, insbesondere im Bereich Elektrifizierung, autonomes Fahren und vernetzte Fahrzeuge. Freie Werkstätten stehen vor der Herausforderung, sich kontinuierlich über neue Technologien und Systeme zu informieren, um den Anforderungen moderner Fahrzeuge gerecht zu werden.
  2. Komplexe Diagnose- und Reparaturprozesse: Moderne Fahrzeuge sind mit komplexen elektronischen Systemen und Sensoren ausgestattet, welche die Diagnose und Reparatur erschweren. Werkstätten müssen in hochentwickelte Diagnosegeräte und Software investieren, um effizient und präzise arbeiten zu können. Gleichzeitig müssen sie über qualifizierte Fachkräfte verfügen, die in der Lage sind, diese Geräte effektiv einzusetzen.
  3. Zugang zu technischen Informationen: Die Verfügbarkeit von technischen Informationen, insbesondere zu neueren Fahrzeugmodellen, kann eine Herausforderung darstellen. Werkstätten benötigen detaillierte Informationen über Reparaturverfahren, Teilestandards und Spezifikationen, um effizient arbeiten zu können.
  4. Wettbewerb mit Markenwerkstätten: Freie Werkstätten stehen in einem intensiven Wettbewerbsumfeld, insbesondere mit den Markenwerkstätten der Fahrzeughersteller. Kunden neigen oft dazu, Reparaturen und Wartungsarbeiten bei den Markenwerkstätten durchführen zu lassen, um die Fahrzeuggarantie zu wahren. Freie Werkstätten müssen sich durch qualitativ hochwertige Arbeit, guten Service und transparente Preise profilieren, um Kunden zu gewinnen und langfristige Kundenbeziehungen aufzubauen.
  5. Fachkräftemangel und Nachwuchssicherung: Die Gewinnung qualifizierter Fachkräfte stellt eine Herausforderung für viele Unternehmen dar. Ich denke, dass es wichtig ist die Lehrlingsausbildung auch in kleinen Werkstätten zu forcieren und verstärkt in die Aus- und Weiterbildung zu investieren, um qualifizierten Nachwuchs zu gewinnen und langfristig zu binden.

Wie sollten sich die Werkstätten am besten auf die kommenden Anforderungen vorbereiten?

Einige wichtige Aspekte, auf die sich Werkstätten konzentrieren sollten, sind ihre Kompetenzen im Bereich Elektromobilität, Diagnose-und Telematik sowie der Umgang mit den verschiedenen Fahrzeugkommunikationsschnittstellen. Auch die Automatisierung von Arbeitsprozessen wird in Zukunft an Bedeutung gewinnen. Daten und IT-Sicherheit werden in Zukunft noch eine größere Herausforderung werden. Auch das Thema Nachhaltigkeit und Umweltbewusstsein wird bleiben, da der Fokus darauf in der Automobilbranche immer wichtiger wird. Werkstätten sollten sich auf den Umgang mit umweltfreundlichen Technologien und Materialien vorbereiten. Dies kann die richtige Entsorgung von Batterien und anderen umweltschädlichen Substanzen sein, die Förderung von Recyclingpraktiken und die Unterstützung von nachhaltigen Mobilitätslösungen.

Kann eine Werkstatt aus Ihrer Sicht die nächsten zehn Jahre überleben, wenn sie sich dem Thema Elektromobilität komplett verweigert?

Das ist unwahrscheinlich. Die Elektromobilität ist ein bedeutender und unaufhaltsamer Trend in der Automobilbranche, der sich weiterhin entwickeln und an Bedeutung gewinnen wird. Einer der Gründe, warum eine Werkstatt die Elektromobilität nicht ignorieren sollte, ist der wachsende Marktanteil von Elektrofahrzeugen und damit die steigende Nachfrage nach Werkstätten, die in der Lage sind, Wartung, Reparaturen und Diagnosen für Elektrofahrzeuge durchzuführen. Kunden werden nach Werkstätten suchen, die ihnen eine ganzheitliche Betreuung ihres Fahrzeugs bieten können, unabhängig von der Antriebsart. Werkstätten, die sich frühzeitig mit der Elektromobilität auseinandersetzen und ihr Angebot entsprechend erweitern, haben eine bessere Chance, ihre Wettbewerbsfähigkeit zu erhalten und ihre Geschäftstätigkeit langfristig erfolgreich fortzuführen.

In welcher Größenordnung kommen Investition auf jene Freien Werkstätten zu, die Hybrid- und Elektrofahrzeuge servicieren und reparieren wollen?

Es ist schwierig, konkrete Zahlen für die Investitionen anzugeben, da dies von der Größe der Werkstatt, dem geografischen Standort, dem Umfang der Dienstleistungen und der Qualität der Ausstattung abhängt. Es wird jedoch empfohlen, dass Werkstätten bei der Planung ihrer Investitionen in Hybrid- und Elektromobilität eine sorgfältige Kostenanalyse durchführen und sich gegebenenfalls von Experten beraten lassen, um einen realistischen Investitionsplan zu erstellen. Schulung, Ausbildung und Weiterbildung werden hier auch einen beträchtlichen Anteil ausmachen. 

Ist mit einem Rückgang des Reparaturgeschäftes zu rechnen, weil Elektroautos einen geringeren Servicebedarf haben?

Es wird erwartet, dass Elektroautos im Vergleich zu herkömmlichen Verbrennerfahrzeugen einen geringeren Servicebedarf haben. Es gibt jedoch auch andere Aspekte zu berücksichtigen, wie zum Beispiel die Wartung und Überprüfung von Hochvoltbatterien sowie spezifischer Komponenten wie Elektromotoren, Leistungselektronik und Ladegeräten. Auch für die Unfallreparaturen bei der Instandsetzung von Hochvoltfahrzeugen erfordern spezielles Know-how. Elektroautos werden in Zukunft von Software-Upgrades und -Updates profitieren, um Leistung, Effizienz und neue Funktionen zu verbessern. Werkstätten können diese Dienstleistungen anbieten und ihre Kunden bei der Aktualisierung der Fahrzeugsoftware unterstützen. 

Ist auf politischer Ebene in absehbarer Zeit eine Lösung zu erwarten, die den Freien Werkstätten das Überleben sichert?

Es gibt auf politischer Ebene bereits Initiativen und Diskussionen, die darauf abzielen, den freien Werkstätten den Zugang zu Reparaturdaten und Informationen zu sichern. Letztendlich hängt das Überleben freier Werkstätten aber nicht allein von politischen Maßnahmen ab. Werkstätten können auch durch ihre eigene Anpassungsfähigkeit, Investitionen in Schulungen und Technologien sowie eine starke Kundenbindung ihre Wettbewerbsfähigkeit stärken und erfolgreich sein. 

Kann die Lehrausbildung mit der rasanten technologischen Entwicklung noch Schritt halten?

Um sicherzustellen, dass die Lehrausbildung mit der rasanten technologischen Entwicklung Schritt hält, erfordert es eine enge Zusammenarbeit zwischen Ausbildungseinrichtungen, Industrie, Fachgruppen (Innungen) und Regierungen. Durch diese Zusammenarbeit können die Ausbildungsinhalte aktualisiert, Lehrmethoden angepasst und die Qualität der Ausbildung verbessert werden.

Mit welchen Maßnahmen sollte gegen den Fachkräftemangel vorgegangen werden?

Es ist wichtig, dass junge Menschen über die attraktiven Karrieremöglichkeiten informiert werden und dass die Ausbildung in der Kfz-Branche als eine hochwertige und zukunftsträchtige Option angesehen wird. Zusammenarbeit zwischen Schulen, Ausbildungseinrichtungen und Unternehmen kann helfen, das Interesse junger Menschen an handwerklichen Berufen zu wecken. Um den Fachkräftemangel anzugehen, ist es wichtig, den Berufsstand attraktiv zu machen. Dazu gehören eine angemessene Vergütung, gute Arbeitsbedingungen, Aufstiegsmöglichkeiten, Weiterbildungsmöglichkeiten und die Anerkennung der Leistung der Fachkräfte. Eine positive öffentliche Wahrnehmung und Anerkennung der Bedeutung der Kfz-Branche können auch dazu beitragen, das Image des Berufsstandes zu verbessern.

Rechnen Sie mit einer Insolvenzwelle bei Freien Werkstätten aufgrund der zunehmend schwierigen Rahmenbedingungen des Reparaturgeschäftes?

Es ist schwierig, eine Vorhersage über eine mögliche Insolvenzwelle bei Freien Werkstätten zu treffen. Die Rahmenbedingung des Reparaturgeschäftes können je nach Region, Wettbewerbssituation, politischen Entscheidungen und vielen anderen Faktoren wie freier Zugang zu Reparaturdaten, Investitionen rund um die alternativen Antriebe sowie Mobilitäts-Konzepten abhängig sein.