Hat der Handel Zukunft?

12.10.2015

 
Reifen-Round-Table der KFZ Wirtschaft: Hat der Reifenfachhandel Zukunft? Ist das Internet eine Bedrohung? Muss der Reifen ein Low Interest Product bleiben?
KFZ Wirtschaft-Reifen-Round-Table: Chefredakteur Wolfgang Bauer (l.) diskutiert mit Michael Peschek (Point S), Hermann Hladky (Reifen Sigwald), Thomas Körpert (Apollo Vredestein) und Claus-Christian Schramm (Goodyear Dunlop) – im Uhrzeigersinn. Cecile M. Lederer filmt.

KFZ Wirtschaft: Herr Schramm, Sie haben zuletzt im Interview mit mir gesagt: „Selbstverständlich brauchen wir den Reifenfachhandel.“ Warum glauben Sie das?
Claus-Christian Schramm: Der Reifenfachhandel hat eine ganz klare traditionelle Position und logistische Verpflichtung, die er im Rahmen der Mobilitätsgewährleistung für Endverbraucher wahrnimmt. Wir von Goodyear Dunlop stützen den unabhängigen Fachhandel so gut es geht. Zudem lagern immer mehr Endverbraucher ihre Reifen beim Fachhandel ein. Die Kapazitäten sind immer nahezu erschöpft.

Thomas Körpert: Der Reifenfachhandel hat Zukunft, weil es keine Alternative gibt. Es gibt zahlreiche Reifensegmente, die ohne den Fachhandel gar nicht denkbar wären. Vom Landwirtschafts- bis zum Staplerreifen. Auch im Pkw-Bereich: Ohne die Basis des Fachhandels könnte auch das Autohaus das Geschäft nur halb so gut machen. Je komplexer das Thema Reifen wird – und das wird es in Zukunft –, desto mehr braucht es den Spezialisten.

Pflegt die Industrie ihre Händler ausreichend oder tendiert man ohnedies schon immer mehr zum Autohaus?
Claus-Christian Schramm: Ich denke nicht, dass die Tendenz in Richtung Autohaus geht. Ob wir genug tun, ist schwierig zu beantworten, weil man immer noch mehr tun kann. Es stellt sich aber auch die Frage, ob das, was wir tun, auch angenommen wird.

Wird die Chance RDKS vom Fachhandel angenommen?
Thomas Körpert: Die Fachhändler haben die Reifendruck-Kontrollsysteme als Chance erkannt und machen das sehr professionell. Jetzt ist der Zeitpunkt, da das Thema wirklich aktuell wird. Ich persönlich habe keinerlei Zweifel, dass der Fachhandel nicht RDKS-fit wäre.
Herr Peschek, Sie haben zuletzt betont, die Industrie konzentriere sich immer mehr aufs Autohaus. Der Fachhandel solle sich auf eine Premiummarke sowie auf Nokian, Hankook, Vredestein und Falken fokussieren.
Michael Peschek: Es gibt Marken, die den Fachhandel in ihrer Preisstellung unterstützen. Und es gibt solche, die in den verschiedensten Absatzkanälen zu finden sind und in puncto Preis den Handel benachteiligen. Der Grund dafür: Oftmals werden Konzepte vom großen deutschen Markt schlicht auf unseren Markt übergestülpt. Stichwort: Wasserfallkonzepte. Für einen Hybridhändler, der Großhandel betreibt, aber auch eine Service-Station hat, sind die Konditionen – höflich formuliert – suboptimal. Die von Ihnen zuvor genannten Marken lobe ich mir, weil sie dem Handel faire Preise zuteil werden lassen und uns die Möglichkeit geben, unser Können zu zeigen. Die heutigen Premiummarken geben uns diese Möglichkeit in aller Regel nicht.

Herr Schramm, Goodyear Dunlop wurde nicht genannt.
Claus-Christian Schramm: Wir sind jene, die dieses Wasserfallkonzept mittragen müssen, zumal wir weder ein österreichisches noch ein deutsches Preiskonzept haben, sondern ein europäisches. Ein breitgefächertes Markenportfolio, das europaweit sozusagen über einen Kamm geschert wird, führt dazu, dass diese Konzepte für den Fachhandel nur schwer nachvollziehbar sind. Dennoch versuchen wir, fair zu gestalten. Preis ist aber immer ein kritisches Thema. 

Hermann Hladky: Es wird immer mehr dafür plädiert, Partnerschaften einzugehen, Kooperationen zu schmieden. Nicht nur im Sinne von fairen Preisen, auch in Richtung Schulungen, wie Produkte optimal verkauft werden können. Mengen und Volumen sind aus dem Reifenhandel abgezogen worden und haben sich zum Autohaus verschoben, deshalb würde ich das für sinnvoll halten. 

Herr Körpert, inwieweit wird sich die Vertriebsstruktur ändern, wohin rollt der Reifen?
Thomas Körpert: Das Internet ist aus dem Geschäft nicht mehr wegzudenken. Hier gilt es zwischen B2B und B2C zu unterscheiden. Beide sind tendenziell steigend. Im B2C spielt meines Erachtens Convenience eine große Rolle. D. h., dass sich Endverbraucher außerhalb der normalen Öffnungszeiten übers Internet beim Händler einen Termin ausmachen können. Das Problem ist: Internet macht alles sehr transparent, was zur Folge hat, dass jeder versucht, der Billigste zu sein. Das ist den Erträgen nicht zuträglich. Daher geht es darum: Wie können Preise etwa über tyre24 generiert werden, die allen noch genug Luft zum Atmen lassen?

Es wird immer Anbieter geben, die versuchen über den Preis zu reüssieren. Man kann das ja nicht von oben verordnen …
Hermann Hladky: Wenn es keine Möglichkeit gibt, solche Preise zu machen, dann wird es sie auch nicht geben. Durch die Überproduktion erleben wir Preise, die nicht mehr nachzuvollziehen sind.

Michael Peschek: Im B2C-Bereich versucht jeder, der Günstigste zu sein. Der Günstigste sein, das kann naturgemäß nur einem gelingen. Ein Beispiel aus Deutschland: Der Reifen-Discount ist unglaublich preisaggressiv angetreten, um sich Marktanteile zu sichern. Hat damit im Grunde auch Erfolg gehabt und in zwei Saisonen sechs Prozent Marktanteil erobert. Die wurden allerdings ausschließlich dem Internetsegment entnommen, weil der Gesamt-Marktanteil des Internets nicht gewachsen ist. Ich erachte es daher nicht für sinnvoll, über Preisaggressivität ins Internet zu ziehen. Ich beobachte auf unserer eigenen Website Folgendes: Wir haben 700 Klicks und einen Kauf. Ich schließe daraus, dass das Internet primär dafür verwendet wird, sich vorab zu informieren. Generell sind Internetkäufer Billigproduktkäufer. 

Claus-Christian Schramm: Zum Thema Internet: Unsere Reifen werden in Zukunft zu jeder Zeit überall verfügbar sein. Für den Fachhandel heißt das: Er muss zumindest einen Online-Shop haben.

Wird der Reifen tatsächlich ein beratungsintensives Produkt bleiben?
Michael Peschek: Das ist genau die Herausforderung, vor der wir stehen. Wir wurden in den letzten 50 Jahren als Handwerker gesehen. Wir müssen es nun innerhalb kürzester Zeit schaffen, vom Handwerker zum Dienstleister zu werden.

Es geht darum, diese Dienstleistung auch angemessen zu verkaufen, stolz darauf zu sein. Ist dieses Bewusstsein zu gering ausgeprägt?
Hermann Hladky: Dieses Bewusstsein ist teilweise auf Grund von Unwissenheit zu gering ausgebildet, z. B. in puncto Selbstkosten etc. Was RDKS betrifft: Sowohl die Industrie als auch der VRÖ hat hier viel getan und geholfen. Jeder vernünftig kalkulierende Betrieb weiß, wie viel an Mehrzeit er bezüglich RDKS braucht und auch, dass er diese Kosten verrechnen muss. Betriebe in meinem Erfahrungsfeld – und Ergebnisse von Mys­tery-Shoppings zeigen das ebenfalls – sind absolut RDKS-fit.

Michael Peschek: Eine Studie des BRV zeigt: Das Kalibrieren eines Fahrzeugs dauere acht Minuten. Das stimmt, wenn ich im Vorfeld z. B. bereits weiß, dass bei einem Lexus der Kalibrierknopf auf der unteren Seite beim Bremspedal zu finden ist. Wenn ich das nicht weiß, kann es zwei Stunden dauern, bis ich den Knopf gefunden habe. Ein Marktbegleiter von uns, hinter dem eine Industrie steht, bietet diese Dienstleistung für 1,50 Euro an. Wir können keine acht Minuten für 1,50 arbeiten. RDKS wird erstmals im kommenden Winter wirklich relevant werden. Leider ist es so, dass es Marktbegleiter gibt, die – bevor noch der erste Kunde kommt – den Preis so ruinieren, dass er unterm Selbstkostenpreis liegt. Das frustriert.

Thomas Körpert: Der Fachhandel wird nie der Billigste sein. Er muss sich etwas suchen, wo er gewinnen kann. Da gibt es eine ganze Menge. Ob Service, Dienstleistung, Qualität, Beratung oder Convenience.

Erklärt die Reifenbranche ihre Produkte ausreichend? Wird genügend Begehrlichkeit geschaffen?
Thomas Körpert: Ich denke, wir erklären das zu wenig. Ich war zuletzt bei der IAA. Wenn man das nicht kennt, kann man sich nicht vorstellen, was dort an Begehrlichkeit geschaffen wird. Zugegeben, ein Automobil weckt mehr Emotion. Aber: Bei Audi versucht niemand, der Billigste zu sein. Von den Premium­autoherstellern können wir lernen: Das kos­tet jetzt Geld, aber du hast die und die Vorteile. Wir von der Industrie können schon Begehrlichkeit und Emotion schaffen, aber das muss dann auch beim Fachhandel umgesetzt werden. Zum Beispiel, indem Händler mit Herstellern Allianzen schmieden. Diese Möglichkeit hat der Handel.

Claus-Christian Schramm: Der Endverbraucher hat das Medium Reifen sozusagen verlassen. Er gibt seinen Schlüssel ab und hat keinerlei Bezug. Somit gibt es auch keinen Bezug zur Dienstleistung des Handels. Wir von der Herstellerseite präsentieren den Reifen emotional. Das reicht allerdings nicht aus, um die breite Masse anzusprechen. Da erreichen wir allenfalls Motorsportenthusiasten. Grundsätzlich geht’s darum, dass der Endverbraucher beim Handel eine Erlebniswelt vorfinden sollte, in der einfach alles passt.

An welchen Schrauben könnte man drehen in Bezug auf Begehrlichkeit und Emotion, Herr Peschek?
Michael Peschek: Aufklären, welche Unterschiede in dem mehr oder weniger gleich aussehenden Produkt drinnenstecken. Etwa mit dem Thema Sicherheit. Oder Rollwiderstand, also Spritsparen.
Hermann Hladky: Mit dem Thema Sicherheit ist es zweifellos am einfachsten, weil das ein Grundbedürfnis jedes Menschen ist. Damit der Reifen kein Low Interest Product bleibt, muss mehr Bewusstsein geschaffen werden. Im Moment heißt es nur: Wo bekomme ich das Produkt am günstigsten? Oder Reifen werden zum Neuwagen dazugeschenkt. Wir als Reifenhandel müssten es umgekehrt machen. Wir müssten uns bündeln, z. B. einige Golfs kaufen und die verscherbeln. Da möchte ich schauen, was dann passiert. Das ist die Crux an der Sache. Kostet’s nix, ist es nix wert. Dass Reifenhersteller einen Granzjahresreifen auf den Markt bringen, ist ja für den Handel ein Wahnsinn. So etwas kann ich doch unmöglich empfehlen.

Wenn ihn der Kunde verlangt.
Hermann Hladky: Der Kunde verlangt nur, was es gibt.

Michael Peschek: Wir können dem Kunden sagen: Der Ganzjahresreifen ist vielleicht für Hamburg geeignet, aber in unserer Alpenregion mit Schneefall im Winter ist er nicht geeignet.

Claus-Christian Schramm: Für Vielfahrer in Österreich ist das sicher nicht das optimale Produkt. Es gibt aber auch Anwendungsbereiche, die durchaus wachsend sind, in denen der Ganzjahresreifen eine gute Alternative ist. In Ballungszentren etwa, wo wenige Kilometer gefahren werden. Aus Händlersicht muss man aber naturgemäß dranbleiben, dass die Kunden Sommer- und Winterreifen wechseln, das ist klar. 

Hermann Hladky: Noch ein Satz zum Thema 
Begehrlichkeit: Wenn ich heute in ein Autohaus gehe, dann ist das Ambiente ein ganz anderes. 
Da hat der Reifenfachhandel in der Zeit, da man noch Geld verdient hat, offenkundig verabsäumt, ins äußere Erscheinungsbild zu investieren.

Wenn der Reifenhandel der Erlebniswelt Autohandel nachhinkt, was kann jetzt noch getan werden, oder ist es schon für alles zu spät?
Hermann Hladky: Es ist nicht zu spät. Wie gesagt, es gibt ja etwa die Möglichkeit der Kooperationen oder Allianzen, wo es dann in Richtung Erlebniswelt gehen kann.

Herr Peschek, was hat der Reifenhandel dem Autohaus voraus?
Michael Peschek: In allererster Linie sind wir die Experten. Wir sind keine Quotenverkäufer im Gegensatz zu Autohäusern, die Druck von der Konzernmutter haben. Wir können auf den Kunden eingehen und ihm ein maßgeschneidertes Paket anbieten, völlig unabhängig.