Energiewende
Ersatz für Erdöl gefragt
„Die Automobilindustrie befindet sich in einer der wohl herausforderndsten Phasen ihrer mehr als 140-jährigen Geschichte“, erklärte Helmut List, Vorsitzender der Geschäftsführung der Grazer AVL List. Es habe sich die Geschwindigkeit erhöht, mit der sowohl Innovationen als auch Technologien auf den Markt kommen. Zudem machten Schwankungen beim Kundenverhalten sowie bei den gesetzlichen und marktpolitischen Rahmenbedingungen das Geschäft schwerer planbar. So könnte eine milliardenschwere Investition in eine Gigafactory für Batterien schnell obsolet werden, wenn etwa irgendwo auf der Welt eine bessere Zellchemie entwickelt wird. Und die Batterieentwicklung steht erst am Anfang, betonten viele Expertinnen und Experten. Für Karl Rose, den ehemaligen Chefstrategen des Ölkonzerns ADNOC (Abu Dhabi National Oil Company), sind „Batterien das Öl der Zukunft“. Rose ist überzeugt, dass Europa, Amerika und China im Jahr 2050 einen elektrifizierten Individualverkehr haben werden. Allerdings falle Europa im Bereich der Batterien Jahr für Jahr gegenüber den USA und Asien zurück, wo deutlich mehr dafür investiert werde.
Abhängigikeit verringern
Der VW-Konzern will seine Abhängigkeit von Batteriezellenlieferanten zumindest senken. Batteriezellen stellen rund 40 Prozent des Wertes eines Elektroautos aus. „Unser Ziel ist es, 50 Prozent unserer Batteriezellen selbst herzustellen“, erklärte Michael Steiner, Forschungsvorstand der Volkswagen AG. Um den nächsten technologischen Sprung zu schaffen, intensiviert VW etwa die Zusammenarbeit mit Zulieferern im Bereich der Feststoffzelle. Diese gilt als schneller ladbar, reichweitenstärker, zuverlässiger, langlebiger und sicherer als aktuelle Lithium-Ionen-Zellen. Insgesamt erwartet Steiner, dass bis 2035 die Kosten für Batteriezellen um bis zu 40 Prozent sinken werden. Die Umstellung auf batterieelektrische Mobilität erfolgt jedoch deutlich langsamer, als von vielen Autoherstellern erwartet. Die Gründe dafür reichen vom unzureichenden Stromnetz über zu hohe Fahrzeugkosten bis zur mangelhaften Ladeinfrastruktur. So sind knapp zwei Drittel der Ladestationen in der EU auf drei Länder konzentriert, machte Rose aufmerksam. Es sind dies die Niederlande, Deutschland und Frankreich. Einen spürbaren Einfluss durch Elektrofahrzeuge auf die weltweite Erdölnachfrage sieht Rose mit einem Rückgang um 1,5 Millionen Fass (159 Liter) pro Tag nach 2030. Insgesamt beträgt die weltweite Förderung aktuell rund 100 Millionen Fass Rohöl pro Tag, davon fließt rund ein Drittel in den Verkehr. Ölkonzerne wie BP haben bereits vor Jahren mit der Umstellung begonnen, führte Rebecca Yates, Vizepräsidentin von BP in Wien aus. „Ziel von BP ist es, ein Netto-Null-Unternehmen betreffend CO2 bis 2050 oder gar früher zu werden.“ Bis 2030 verfolgt BP das strategische Ziel, die Zahl der Ladestellen von derzeit 27.000 auf 100.000 weltweit zu erhöhen.
Synthetische Kraftstoffe
Aus der Sicht von Franz von Mahle darf man synthetische Kraftstoffe nicht außen vor lassen. Diese E-Fuels werden auf Basis von grünem Wasserstoff und CO2, das etwa von Industrieabgasen abgespalten wird, erzeugt. Durch die aufwendigere Erzeugung sind sie teurer und haben eine schlechtere Energiebilanz als der direkte Einsatz von grünem Strom in Batterien. Aber sie haben wichtige Vorteile: E-Fuels gelten vielfach als beste Möglichkeit, Bereiche wie die Containerschifffahrt oder den Langstreckenflugverkehr zu dekarbonisieren. Bei Biokraftstoffen als Ersatz für fossile Energiequellen im Verkehr gilt dagegen das Potenzial als begrenzt, da eine Konkurrenz zur Lebensmittelproduktion vermieden werden soll. E-Fuels inklusive grünem Wasserstoff sind auch attraktiv als Speicher für Ökostrom. Denn so lässt sich grüner Strom, wo Europa sehr stark von Importen abhängig sein wird, ebenso einfach wie Rohöl über sehr weite Distanzen transportieren. „Noch beträgt der Anteil fossiler Energiequellen bei Primärstrom in Europa fast 40 Prozent“, sagte ÖVK-Chef Bernhard Geringer. Bei der Primärenergie ist er noch viel höher.
Verbrenner aus China
CO2-neutralen Kraftstoffen wird auch für Pkw viel Zukunftspotenzial zugeschrieben. Umso mehr, als außerhalb von Europa kein Verbot für Verbrennungsmotoren in Pkw besteht. Gerade in Schwellenländern wie Indien wird sogar mit einem Zuwachs gerechnet. Mit nachhaltigen Kraftstoffen können auch Pkw emissionsfrei fahren, wenn die Gesamtökobilanz des Pkw berücksichtigt wird und nicht nur das Abgas aus der Abgasanlage. Und das viel preiswerter als mit batterieelektrischem Antrieb, erklärte Michael Fleiss, Geschäftsführer des Antriebsentwicklers Aurobay Europe. Laut einer Bloomberg-Studie werden 2040 weltweit 900 Millionen Verbrennungsfahrzeuge und 600 Millionen Batteriefahrzeuge unterwegs sein, so Fleiss. Aurobay wurde 2021 gegründet und umfasst die Verbrennersparte (von der Entwicklung bis zur Produktion von Motoren und Getrieben) des chinesischen Autoherstellers Geely, dessen Europa-Tochter Volvo. Eine gemeinsame Firma mit der Verbrennersparte von Renault ist noch für dieses Jahr geplant. „Diese ist dann der größte unabhängige Powertrain-Hersteller der Welt, welcher pro Jahr fünf Millionen Powertrains weltweit produziert.“ Das Unternehmen wird moderne Verbrennungsmotoren und Getriebe auch für andere internationale Autohersteller entwickeln und bauen, die sich keine eigene Motorenentwicklung mehr leisten und voll auf den batterieelektrischen Antrieb konzentrieren wollen.