Interessensvertretung

Starke Stimme für die freie Reparatur

Werkstatt
15.03.2023

Seit 1. Februar ist Sascha Öllinger neuer Obmann des VFT. Im Interview mit der KFZwirtschaft erklärt der COO bei der SAG Austria Handels GmbH, wie er gegen die Monopol-Bestrebungen der Fahrzeughersteller vorgehen will.
VFT Obmann Sascha Öllinger
VFT Obmann Sascha Öllinger 

Was sind die aktuell größten Herausforderungen für den freien Teilehandel in Österreich?

Ich denke, dem freien Teilehandel geht es wie vielen anderen, die im Bereich Mobilität aktiv sind, denn die befindet sich in einer Transformationsphase. Wir müssen uns auf stärkeres Nebeneinander unterschiedlicher Antriebskonzepte einstellen. Gleichzeitig entwickeln sich Fahrzeuge unabhängig vom Antriebskonzept immer mehr zu rollenden, vernetzten Rechenzentren, wodurch die Themen Daten und Digitalisierung immer mehr Bedeutung gewinnen. Der Mobilitätsmarkt der Zukunft birgt für den freien Reparaturmarkt zahlreiche Chancen, aber genauso auch Risiken – allen voran der zunehmend spürbare Trend der Fahrzeughersteller zur Marktabschottung. Diesem Trend entgegenzuwirken, ist die größte Herausforderung.

Wie kann der Verband der freien Teilehändler seine Mitglieder unterstützen?

Der VFT wurde vor mehr als 30 Jahren als Verband der freien Kfz-Teile-Fachhändler gegründet und hat sich seither schrittweise für Mitglieder aus weiteren Marktsegmenten geöffnet. Zu unseren Mitgliedern zählen heute darum heute auch Produzenten von Aftermarket-Fahrzeugteilen, freie Werkstätten und unabhängige automotive IT- und Datenprovider. Die typischen Unternehmensgrößen reichen von lokal tätigen Kleinbetrieben bis zu überregional bzw. grenzüberschreitend tätigen, mittelständischen Unternehmen. Daraus kann man bereits erkennen: Der freie Reparaturmarkt ist stark fragmentiert und sorgt in hohem Maße für Wettbewerb auf dem Markt für Fahrzeugreparaturen. Vergleicht man den freien Reparatursektor jedoch mit seinem Gegenüber, also den Netzwerken der bestens organisierten, global tätigen Automobilkonzerne, entpuppt sich die Fragmentierung des freien Reparatursektors allerdings auch als Schwachstelle. Dort setzt der VFT mit seiner Arbeit an. Als Interessenvertretung des freien Reparatursektors setzen wir uns für faire Rahmenbedingungen im Wettbewerb auf dem Automotive Aftermarket ein. Darum hat unser Tun und Handel ein zentrales Ziel: Das Schaffen eines Level-Playing Fields, sprich gleicher Ausgangsbedingungen, für Herstellernetzwerke und freie Betriebe.

Was ich damit meine: Wenn ich mit meinem Unternehmen erfolgreich sein möchte, muss ich etwas besser machen als mein Mitbewerber – sei es in der Qualität der Leistung, im Kundenservice oder bei den Kosten bzw. dem Preis. Funktionierender Wettbewerb ist darum aus Sicht der Verbraucher:innen ungeheuer wichtig. Funktionieren kann Wettbewerb aber nur dann, wenn ich als freier Betrieb die gleichen Rahmenbedingungen vorfinde, wie einer, der von seinem Fahrzeughersteller abhängig ist. Ein gutes Beispiel ist die seit mehr als zehn Jahren geltende Kfz-Gruppenfreistellungsverordnung, für deren Einführung wir uns gemeinsam mit unseren europäischen Partnerverbänden stark gemacht haben. Sie ist einer der wesentlichen Eckpfeiler, die fairen Wettbewerb zwischen den Angeboten der Fahrzeughersteller und jenen des freien Reparatursektors sicherstellen soll. Die Kfz-GVO ist für die vielen freien Betriebe mit ihren tausenden Mitarbeiter:innen ebenso wichtig, wie für deren zig Millionen Kund:innen. Vor diesem Hintergrund ist die von der EU-Kommission angekündigte Verlängerung der Kfz-GVO um fünf Jahre bis 2028 grundsätzlich erfreulich. Als VFT setzen wir uns jedoch für eine Anpassung der Begleitregelungen an den technischen Stand der Zeit (Stichwort: Datenverfügbarkeit) ein, genauso wie an bestimmte, der Idee der Kfz-GVO zuwiderlaufende Entwicklungen auf dem Markt (Stichwort: Monopolteile, die von den Fahrzeugherstellern nur über ihre eigenen Netzwerke vertrieben werden). Darüber hinaus ist es aus unserer Sicht auch notwendig, die Regelungen zur Gültigkeit der Herstellergarantie bei Wartung und Service nach Herstellervorgaben nachzuschärfen.

Welche Ziele haben Sie für sich als Obmann des VFT formuliert?

Wichtig ist für mich der Erfolg. Für den VFT bin ich dann erfolgreich, wenn ich es schaffe, gemeinsam mit meinen Vorstandskollegen, unseren Mitgliedern, Partnern und deren Kund:innen eine Stimme zu geben, die gehört wird. Eine Stimme für den freien Reparaturmarkt, die sagt: Wir sind wichtige Akteure auf dem Markt und wir sind viele. Wir zahlen mit unserer Arbeit Steuern und wir schaffen und erhalten Arbeitsplätze. Wir scheuen uns auch nicht vor neuen Herausforderungen. Was wir aber wollen sind faire Rahmenbedingungen. Walter Birner hat in den vergangenen vier Jahren als Obmann u.a. mit der Öffnung des VFT für neue Marktsegmente wichtige Impulse für den freien Reparatursektor gesetzt und vieles erfolgreich ins Rollen gebracht, auf dem ich nun mit meinen Kollegen aufbauen darf. Aus Verbandssicht will ich den VFT gemeinsam mit meinem Vorstandsteam – das sind Walter Birner, Thomas Hermanky, Klaus Hölbling, Jörg Neimcke, Georg Ringseis und Roland Zacha – und unserem Generalsekretär – Wilfried Stöckl – auf noch breitere Beine stellen und noch mehr Unternehmen von der Wichtigkeit dieses Projektes überzeugen. Mit jedem neuen Partner und jedem Mitglied, das sich auch persönlich und inhaltlich engagiert, werden wir stärker – und damit unsere Stimme lauter.

Wie sieht es aktuell mit den Lieferketten aus – in welchen Segmenten gibt es derzeit noch Probleme mit der Nachbestellung?

Ganz unterschiedlich. In vielen Segmenten funktionieren die Lieferketten vollkommen reibungslos. Es gibt aber auch noch einzelne Bereiche, wo das noch nicht wieder vollständig der Fall ist. Der große Vorteil des freien Teilehandels und der freien Werkstätten ist seit jeher deren Flexibilität und Resilienz. Da profitieren wir auch von der guten Zusammenarbeit mit den Teileproduzenten.

Wie stark ist der Zugang zu den Herstellerdaten, die für Reparatur- und Servicearbeiten benötigt werden, derzeit für freie Betriebe eingeschränkt?

Elektronisch hochgerüstete Fahrzeuge gewinnen auch für den freien Reparaturmarkt mehr und mehr an Bedeutung. Schließlich wird jeder zweite Pkw ab einem Alter von vier Jahren im freien Reparaturmarkt serviciert, gewartet und repariert. Damit wird die unkomplizierte, rasche und solide Fahrzeugdiagnose und die lückenlose Verfügbarkeit und der Zugang zu Reparatur- und Wartungsdaten – genauso wie zu Ersatzteilen – immer wichtiger, um einen Betrieb effizient und wirtschaftlich führen zu können. In der Praxis ist die freie Werkstätte, der freie Teilehandel, automotive IT-Dienstleister und auch so mancher Teileproduzent mit erheblichen Hürden konfrontiert. Der technische Fortschritt dient aber häufig als Mittel zur Beschränkung des Zugangs zu technischen Informationen; nur zwei Beispiele: Wir sehen auf Fahrzeugteilen immer häufiger OEM-Aktivierungscodes, die auf Ersatzteilen – meist als QR-Code – angebracht werden und nicht an freie Marktteilnehmer weitergegeben werden. Wenn diese QR-Codes z.B. von Mehrmarken- Diagnosegeräten nicht gelesen werden können, kann die Aktivierung dieser Teile über diese Geräte nicht erfolgen. Das ist ein Versuch, den Einbau von Ersatzteilen aus dem freien Markt zu erschweren bzw. ganz zu verhindern. Oder nehmen wir die Ausstattungsmerkmale eines Fahrzeugs. Das Herstellernetzwerk kann problemlos auf Verbau- und Konfigurationsmerkmale von Fahrzeugen zugreifen. Diese Informationen werden unabhängigen Marktteilnehmern in der Regel nicht zur Verfügung gestellt.

Und das waren lediglich Beispiele für statische Fahrzeugdaten. Bei dynamischen Fahrzeugdaten, also jene, die durch die Nutzung des Fahrzeugs in Echtzeit generiert werden, sieht die Situation nicht anders aus. Der einzige der Zugang dazu hat ist der Fahrzeughersteller. Und der kann nach komplett nach seinem eigenen Gutdünken entscheiden, ob er Daten weitergibt, an wen, wann und in welcher Form er sie weitergibt. Auf dieser Grundlage funktioniert Wettbewerb einfach nicht.

Wie soll der uneingeschränkte Datenzugang in Zukunft auch für freie Werkstätten ermöglicht werden?

Die angestrebte europäische Datengesetzgebung gibt hier die grundsätzliche Richtung vor. Denn mit dem Datengesetz sollen die Nutzer:innen stärkere Verfügungsgewalt über ihre Daten bekommen. So sollen Nutzer:innen auf jene Daten zugreifen können, die von ihnen durch die Nutzung von Produkten oder damit verbundenen Dienstleistungen erzeugt werden. Gleichzeitig sollen Nutzer:innen auch die Möglichkeit haben, diese Rechte für den Datenzugriff an einen Drittanbieter ihrer Wahl zu übertragen. Als Nutzer:in im Sinne des Datengesetzes gilt jene Person oder auch jenes Unternehmen, das das Produkt besitzt, least oder mietet oder eine Dienstleistung in Anspruch nimmt. Ein wesentlicher Effekt: Damit wäre für die Nutzer:innen z.B. die Grundlage für eine freie, vom Produkthersteller unabhängige Entscheidung in Hinblick auf die Auswahl von (digitalen) Reparatur- oder Wartungsanbietern geschaffen.

Von all den neuen Rechten hätten die Nutzer:innen aber nichts, wenn ihnen der Zugang zu ihren Daten schwer gemacht wird. Darum werden die Hersteller von Produkten bzw. Anbieter von Dienstleistungen verpflichtet, die Daten transparent und leicht zugänglich zu machen. Gleichzeitig werden Hersteller bzw. Anbieter auch beschränkt, was die Überwachung der Aktivitäten des Nutzers bzw. der Nutzerin oder Dritter betrifft. Für eine starke europäische Datenwirtschaft, die den Nutzer:innen in den Mittelpunkt stellt, ist der im vergangenen Jahr präsentierte Vorschlag für ein Datengesetz ein erster wichtiger Schritt. Fest steht aus Sicht des freien Kfz-Markts aber auch: Ein allgemeines Datengesetz allein reicht nicht. Derzeit haben einzig die Fahrzeughersteller einen privilegierten Zugang zu Daten aufgrund des technischen Designs der in den Fahrzeugen verbauten Systeme. Das verschafft den Fahrzeugherstellern eine beherrschende Stellung und einen Wettbewerbsvorteil – mit den entsprechenden, negativen Folgen: Den europäischen Verbraucher:innen und Unternehmen wird eine größere Auswahl an innovativen und erschwinglichen Mobilitäts- und Nachrüstungsdiensten vorenthalten. Das ist der Grund, warum der Fahrzeugbereich Sektor-spezifische Rechtsvorschriften braucht. Hier ist die EU-Kommission – und insbesondere auch Österreich – nun dringend gefordert, aktiv zu werden.

Welche Maßnahmen könnten aus Ihrer Sicht den freien Betrieben in Zukunft ein Überleben sichern?

Sämtliche Maßnahmen, die zu fairem Wettbewerb auf dem Automotive Aftermarket beitragen. Fairer Wettbewerb heißt: Gleiche Ausgangsbedingungen für Herstellernetzwerke und freie Betriebe. Zahlreiche, wichtige Bereiche, wo Maßnahmen notwendig sind, um gleiche Ausgangsbedingungen zu schaffen, wurden ja bereits erwähnt.

Laut Prognosen wird das Volumen des Ersatzteilhandels in den nächsten zehn Jahren schrumpfen – mit welcher Größenordnung rechnen Sie?

Bei unserem jüngsten VFT-Branchentreff, das Ende Jänner stattgefunden hat, sind wir gemeinsam mit den Teilnehmer:innen genau diesen Fragen nachgegangen. Die Unternehmensberatung Roland Berger hat in einer aktuellen Studie Zahlen dazu geliefert und uns vorgestellt: Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass der Bedarf an „traditionellen“ Ersatzeilen bei batterieelektrischen Fahrzeugen im Durchschnitt 30 Prozent geringer als bei Fahrzeugen mit Verbrennungsantrieb ist. In den kommenden Jahren wird im Aftermarket davon allerdings erst wenig spürbar sein. Verbrenner werden aus heutiger Sicht bis in die späten 2040er Jahre in Betrieb sein, jedoch wird der Anteil der E-Fahrzeuge sukzessive steigen. Im Jahr 2040 wird darum mit einem Rückgang des Ersatzteilbedarfs zwischen 13 bis 17 Prozent gerechnet. Dieser Rückgang soll teilweise durch den Bedarf an spezifischen Ersatzteilen für batterieelektrische Fahrzeuge abgeschwächt werden. Die Schätzung zum europaweiten Marktvolumen 2040 für derartige Teile – allen voran Antriebsbatterien, Elektromotoren und Leistungselektronik – liegen bei bis zu sieben Milliarden Euro

Welche politischen Rahmenbedingungen wären aus Ihrer Sicht wünschenswert, um den freien Teilehandel auch in Zukunft abzusichern?

Wir agieren in einem europäischen Binnenmarkt. Darum sind die wirtschaftspolitischen Rahmenbedingungen in der EU entscheidend. Eine der Prioritäten der amtierenden EU-Kommission im Zusammenhang mit Wirtschaft ist die Beseitigung von Ungleichheiten. Die Zielsetzung passt aus meiner Sicht. Was ich mir wünsche? Dass dieses Ziel konsequenter verfolgt wird.

Stehen im heurigen Jahr Termine für Entscheidungen an, welche die Zukunft des Teilehandels in Österreich und der EU betreffen?

Auch hier spielt die EU und ihre Organe – und hier allen voran die Kommission – eine wichtige Rolle. Bis zur nächsten Europawahl ist es allerdings nicht mehr lange. Die ist für Frühjahr 2024 geplant. Wenn die EU-Kommission ihr Arbeitspensum für diese Legislaturperiode. So zum Beispiel das Sektor-spezifische Datengesetz oder die Neufassung der Geschmacksmuster-Richtlinie auch tatsächlich erfüllt, werden wir Entscheidungen sehen, die nicht nur die Zukunft des freien Teilehandels, sondern des gesamten freien Reparatursektors und damit schlussendlich auch die Zukunft der Fahrzeugnutzer:innen in Österreich und Europa betreffen.