Meinung: Christian Pesau

Geopolitische Umwälzungen

Christian Pesau, Geschäftsführer des Arbeitskreises der Automobilimporteure, schreibt in seiner Kolumne über die aktuell brennenden Themen der Branche. Thema dieses Mal: Die Automobilindustrie kämpft weiterhin – trotz diverser Entspannungssignale – mit Lieferengpässen bei Chips des Herstellers Nexperia.

China hatte vor dem Hintergrund des Handelsstreits mit den USA und Sicherheitsbedenken der Niederlande, Sitz der früheren Philips-Tochter Nexperia, den Export von deren Chips Anfang Oktober untersagt. Der drohende Mangel des in der Autoindustrie massenhaft in Komponenten verbauten Basischips versetzte die Branche weltweit in Aufruhr, die Autoindustrie warnte vor Produktionsstopps. Große Zulieferer wie Bosch oder ZF erklärten, Kurzarbeit beantragt zu haben, optimierten Lagerbestände und versuchten, alternative Lieferquellen zu nutzen. Auch Volkswagen bereitete sich auf Kurzarbeit vor.
China, die USA und die Europäische Union setzten daraufhin Bemühungen um eine politische Lösung in Gang. Kurz darauf kündigt China an, Exporte ausnahmsweise wieder zulassen zu wollen. „Wir werden die tatsächliche Lage der Unternehmen umfassend berücksichtigen und Ausnahmen für Ausfuhren gewähren, die die Kriterien erfüllen”, teilte Chinas Handelsministerium mit. Auch nach Angaben der EU-Kommission kamen die Gespräche voran. EU-Handelskommissar Maroš Šefčovič begrüßte die Fortschritte bei Nexperia, die entscheidend für die Wiederherstellung der Halbleiter-Lieferkette seien und erklärte, die Arbeit an einer dauerhaften Stabilität ohne Exportkontrollen werde fortgesetzt. Die betroffenen Unternehmen zeigten sich erleichtert, mussten jedoch – in erster Linie Autozulieferer, da die OEMs die Halbleiter zumeist als Teil von Komponenten, aber nicht direkt selbst beziehen – entsprechende Anträge stellen. Das alles in einer Zeit, in der Deutschland auf ein Rekorddefizit im Handel mit China zusteuert: Nach Prognose der bundeseigenen Fördergesellschaft Germany Trade & Invest (GTAI) werden die Importe aus China den Wert der dorthin exportierten Waren in diesem Jahr um rund 87 Mrd. Euro übertreffen. Das wären etwa 20 Mrd. Euro mehr als 2024. Das bisher höchste Handelsdefizit aus dem Jahr 2022 von gut 84 Mrd. Euro würde damit übertroffen!
In dieser schwierigen Situation hat sich auch deutlich gezeigt, wie sehr die Lieferketten der Autoindustrie Chinas Gnaden unterworfen sind. Die Branche ist nicht nur von Lithiumhydroxid und Seltenen Erden chinesischer Lieferanten abhängig, sondern lässt auch ihre in Europa gefertigten Halbleiter in China verpacken, Alternativen gibt es kaum. Bislang setzte die Branche auf radikal offene Märkte und freien Handel sowie auf Just-in-time- und Just-in-sequence-Produktion – eine Strategie, die nach Einschätzung von Experten vielfach nicht mehr sicher umsetzbar ist, Re-Regionalisierung und Lokalisierung wäre gefragt. Ein schnell wirkendes Heilmittel gibt es jedoch nicht. Die EU-Kommission habe zwar längst mit Konzepten wie „De-Risking“ und „De-Coupling“ reagiert, ein solcher industriepolitischer Umbau braucht aber Jahre.
Alle Experten sind sich einig, dass vorerst kein Weg an intensiven Verhandlungen mit neuen Partnern vorbeiführe. Immer klarer zeichne sich ab, dass eine grundsätzliche Lösung für den Chipmangel auf politischer Ebene gefunden werden müsse. Es bräuchte ein gemeinsames Vorgehen der EU-Staaten, etwa im Umgang mit Russland und China, was angesichts der geopolitischen Situation jedoch in weiter Ferne liegt. Die Zukunft bleibt spannend…


Der Autor

Christian Pesau
Christian Pesau © IV/Automobilimporteure/Zach-Kiesling

Christian Pesau, Geschäftsführer im Arbeitskreis der Automobilimporteure in der Industriellenvereinigung (IV)

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