Überraschung: Das sind die wertvollsten Autokonzerne der Welt

Autoindustrie
19.11.2021

Unter den 10 wertvollsten Autokonzernen der Welt befinden sich drei Unternehmen, die manch einer vielleicht noch gar nicht kennt. Zwei davon haben gemeinsam noch keine 1.000 Autos verkauft, sind aber bereits so viel wert wie Ford oder VW. Die KFZwirtschaft analysiert, was dahinter steckt. 
US-Start-ups mischen die Autobranche auf: Lucid und Rivian matchen sich an der Börse schon mit Daimler, Ford oder VW.

Rivian heißt der nächste neue Stern am Autohimmel. Das us-amerikanische Start-up stellt – wie könnte es anders sein – Elektroautos her. Vor kurzem (Anfang November) hat man ein spektakuläres Debüt an der New Yorker Börse gefeiert. Das Unternehmen ist mittlerweile umgerechnet rund 100 Milliarden Euro wert und zählt damit zu den wertvollsten Autobauern der Welt. Rivian ist aktuell praktisch gleich viel wert wie der altehrwürdige Daimler-Konzern, zeitweise war das Start-up sogar schon mehr wert als der gesamte VW-Konzern. 

 „No names“ mischen Branche auf

Letzterer hat 2020 mit rund 660.000 Mitarbeitern einen Umsatz von 222 Milliarden Euro eingefahren und weltweit 9.305.372 Fahrzeuge ausgeliefert. Rivian dagegen hat überhaupt erst im September die ersten Stücke ausgeliefert und berichtet von gerade einmal 55.000 vorliegenden Vorbestellungen. Das 2009 von Robert „RJ“ Scaringe gegründeteUnternehmen beschäftigt etwa 9.000 Mitarbeiter, schrieb 2020 einen Milliarden-Dollar-Verlust und hat nur zwei Modelle im Angebot: einen – zugegeben sehr steilen –  Pick-up und ein SUV, das im Dezember auf den Markt kommen soll. Zudem hat Rivian mit Amazon, das übrigens auch zu den größten Aktionären zählt, ein elektrisches Lieferfahrzeug entwickelt. Davon hat Amazon auch bereits 100.000 Fahrzeuge geordert.

Insgesamt sind die Zahlen vergleichsweise bescheiden – selbst wenn man sattes erwartetes Wachstum berücksichtigt: Rivian will die Produktion bis Ende 2023 auf 150.000 Fahrzeuge pro Jahr steigern und strebt bis zum Ende des Jahrzehnts eine Million Fahrzeuge an. Im Vergleich zu Multis wie VW oder Ford (übrigens ebenfalls bei Rivian als Investor an Bord) ist das US-Start-up auch dann noch ein Zwerg. Und selbst Daimler war 2020 mit weltweit 2,84 Millionen verkauften Fahrzeugen vom Ansatz her schon fast dreimal so groß wie Rivian 2030 sein möchte. 

Neben Rivian mischen aber noch weiter Newcomer die Branche auf: Die KFZwirtschaft hat die aktuelle Marktkapitalisierung von Autoproduzenten recherchiert und festgestellt, dass neben Rivian auch Lucid sowie BYD bereist unter den Top 10 rangieren. Lucid ist durchaus vergleichbar die Rivian: Das ebenfalls amerikanische Unternehmen wurde 2015 gegründet und ging gerade erst mit seiner Air-Limousine an den Start, bis 2030 sollen weitere Modelle folgen. Anleger ist das schon mehr wert als BMW – die Marktkapitalisierung liegt naher jener des ruhmreichen Ford-Konzerns. Letzterer hat 2020 weltweit mehr als vier Millionen Autos verkauft, Lucid zeigt sich zuversichtlich im kommenden Jahr 20.000 Autos verkaufen zu können.

Chinesischer Riese

Die Story hinter BYD (der Name steht für „Build your dreams“) ist dagegen eine andere: BYD ist ein riesiger Technologiekonzern, der unter anderem auch in der Batterieproduktion weltweit führend ist, und auch bereits einer der größten Automobilproduzenten Chinas ist. Hier verwundert die hohe Marktkapitalisierung nicht: Der Konzern hat bereits eine beachtlich Größe und Marktmacht, verbucht gleichzeitig aber auch immer noch imposante Wachstumsraten und jede Menge weitere Fantasie (nicht zuletzt mit leistbaren E-Autos an den westlichen Märkten). 2020 konnte den Umsatz 2020 um 22,6 Prozent auf umgerechnet rund 20,3 Milliarden Euro gesteigert werden, der Gewinn kletterte sogar um 162,3 Prozent auf rund 550 Millionen Euro.

Und dann ist da natürlich noch Tesla, ebenfalls ein ziemlicher Newcomer, der seinen US-Konkurrenten freilich weit voraus ist und schon schöne Gewinne einfährt, im Vergleich mit traditionellen Platzhirschen à la VW freilich ebenfalls immer noch ein Zwerg ist. Der Konzern ist aber bereits mehr als eine Billion US-Dollar (960 Milliarden Euro) wert und damit mehr als dreimal so viel wie die Nummer zwei der Branche, Toyota (siehe Grafik). Nun kann man darüber streiten, ob Tesla wirklich so viel wert ist, dass der Konzern aber anders bewertet wird als traditionelle Autobauer, hat schon seinen guten Grund. Wie wir bereits vor einigen Monaten in einer Analyse festgestellt haben, ist Tesla eben kein normaler Autobauer, sondern ein Technologiekonzern mit jeder Menge Wachstumsfantasie.

Der Konzern produziert auch Batterien und könnte künftig mit Dienstleistungen und Softwareangeboten im Bereich autonomer Fahrzeuge, mit GPS-Diensten oder Performance-Upgrades zusätzliche Einnahmequellen mit hohen Gewinnmargen erschließen. Dazu kommt noch das Thema Big Data – gesammelte Daten können vielfältig genutzt werden. In all diesen Bereichen ist Tesla traditionellen Autoherstellern um Jahre voraus. Diese müssen sich gerade neu erfinden.

Dabei ist ihre Kernkompetenz, die Entwicklung und Produktion von Verbrennungsmotoren, nicht mehr gefragt, stattdessen müssen sie im Softwarebereich externes Know-how zukaufen und zum Teil mit großen Tech-Riesen kooperieren. Der Wandel geht über die Antriebstechnologie weit hinaus.

Innovator’s Dilemma

1995 präsentierte Clayton Christensen, ein Harvard-Professor, eine Theorie, die erklärt, warum etablierte Unternehmen an manchen Innovationen scheitern und neue Marktführer aufkommen. Darin argumentiert er, dass bestimmte Innovationen, die sogenannten disruptiven Innovationen, eine Gefahr für etablierte Unternehmen darstellen können.

Disruptive Innovationen stellen eine neue Technologie dar, welche außerhalb des Knowhow-Bereichs von etablierten Unternehmen liegt und welche das Potenzial hat, die jetzige Technologie des etablierten Unternehmens, zu ersetzen. Das Unternehmen steht dann vor der Entscheidung, entweder Ressourcen von der jetzigen Technologie abzuziehen und in die neue Technologie zu investieren, oder abzuwarten, ob sich die neue Technologie wirklich am Markt durchsetzt. Ersteres könnte dazu führen, dass das etablierte Unternehmen, Ressourcen verschwendet, falls sich die neue Technologie nicht durchsetzt und letzteres könnte dazu führen, dass das Unternehmen in technologischen Rückstand gerät, wenn sich die neue Technologie doch durchsetzt. Beides kann zu Marktanteils-Verlusten führen und Christensen bezeichnet diese Situation, als das „Innovator’s Dilemma“ (so auch der Name seines längst legendären Buches) für etablierte Unternehmen.

Da zunächst ja nicht absehbar ist, ob sich so eine Innovation überhaupt durchsetzen wird, diese oft auch in Konkurrenz zu bestehenden Produkten der Unternehmen steht und die etablierten Unternehmen in der Regel große, schwerfällige Organisationseinheiten sind, tun sie sich schwer und versäumen häufig die disruptive Innovation. Dies umso mehr, als disruptive Technologien etablierten Produkten anfangs meist unterlegen sind, wie Christensen ausführt. So hatten beispielsweise Flash-Speicher gegenüber klassischen Festplatten in Bezug auf Kapazität, Zuverlässigkeit und Preis anfangs kaum Vorteile. Mit der Zeit wurden sie aber immer besser.

Herausforderer, nicht selten neu gegründete Start-up-Unternehmen, hingegen haben nichts zu verlieren und können sich voll auf die neue Technologie fokussieren. Genau hier kommen nun in der Autobranche Namen wie eben Tesla, Rivian oder Lucid ins Spiel. Disruptive Innovationen sind neue Produkte oder Dienstleistungen, die bestehende Strukturen oder sogar ganze Märkte radial verändern. Börsianer spekulieren darauf, dass so etwas nun in der Autobranche passiert.

Man erinnert sich noch gut an Beispiele aus anderen Branchen: Nokia war der unangefochtene Weltmarktführer bei Mobiltelefonen und nach Erfindung des Smartphones rasch weg vom Fenster. Das sollte VW und Co. ein warnendes Beispiel sein. Auch damals hatte man lange gedacht, der Milliardenkonzern werde schon noch die Kurve kriegen, doch selbst eine strategische Allianz mit Microsoft blieb erfolglos, sodass die Handysparte 2013 verkauft wurde. Weitere Beispiele sind der Sprung von der Analogfotografie zur Digitalfotografie, der letztendlich der Milliardenkonzern Kodak zum Opfer fiel oder – in jüngster Vergangenheit – das Aufkommen der Streaming-Dienste. Wer frühzeitig in Netflix investiert hat, konnte damit reich werden. All das erklärt, warum Aktien wie Rivian oder Lucid so hoch gehandelt werden. Ob sie die aktuellen Werte aber tatsächlich auch verdienen, wird sich weisen. 

Übrigens: Dass Toyota ähnlich viele Autos verkauft wie VW, aber mehr als doppelt so viel wert ist wie die Wolfsburger, hat ebenfalls seinen Grund: VW ist ein riesiges Konglomerat mit einem Großaktionär namens Niedersachsen, der politische Interessen verfolgt. All das wird an der Börse mit Abschlägen bestraft. Zudem hat VW traditionell geringere Margen als die Japaner. Hinzu kommt der Imageschaden durch den Dieselskandal.