Der goldene Stundensatz

Werkstatt
08.05.2014

Von: Philipp Bednar
Die hohen Stundensätze in der Werkstatt sind notwendig, um die benötigten Deckungsbeiträge zu erwirtschaften. Doch kann sich der Kunde die teure Arbeitszeit noch leisten? Oder ist die Schmerzgrenze bereits erreicht? Und wie weit können die Preise noch steigen?

Eine bekannte Situation: Die Kundschaft gibt den Arbeitsauftrag – ein Service plus Kleinigkeiten, sofern diese anfallen. Ein paar Tage später kommt der Kunde und will das Auto abholen. Bei der Übergabe ist noch alles im grünen Bereich, doch als er die Rechnung serviert bekommt, verfinstert sich der Blick. Mehrere Hundert Euro – zusammengesetzt aus Material und Arbeitszeit. Bei einem neuen Wagen ist das vielleicht noch verschmerzbar, aber bei einer alten Schüssel? Setzt man jetzt die Service- und Reparaturkosten in Relation zum Fahrzeugwert, kann man verstehen, dass die Kundschaft nach Luft schnappt. Die Frage ist daher: Ist die Schmerzgrenze schon erreicht? Kann man als Betrieb die Stundensätze überhaupt noch erhöhen, ohne Kunden und damit das nötige Geschäft zu verlieren?

Harte Fakten
Schauen wir uns die Zahlen im Detail an: Der Konsumentenschutz der Arbeiterkammer hat die Stundensätze von 2003 mit jenen von 2013 verglichen. Beobachtet wurden ausschließlich Werkstätten im Raum Wien – sowohl freie als auch markengebundene Betriebe. Die Zahlen sind durchaus überraschend: Eine Mechanikerstunde ist durchschnittlich von rund 82 Euro inklusive Mehrwertsteuer, auf 115,22 Euro gestiegen. Das sind 40,5 Prozent mehr innerhalb von zehn Jahren.
Die Spenglerstunden sind von 95 auf 144,12 Euro gestiegen – ein Plus von 51,7  Prozent. Die Lackiererarbeitsstunde stieg von rund 97 auf 146,30 Euro. Plus 50,8 Prozent. Grob formuliert: Binnen zehn Jahren sind die Mechanikerkosten für die Kunden um rund 50 Prozent gestiegen. Das ist insofern eine bemerkenswerte Zahl, da die Inflation - die jährliche Teuerungsrate - im gleichen Zeitraum über zehn Jahre bei 24,7 Prozent lag. Das ist die Hälfte.
Für den Werkstattkunden stimmt also das Gefühl, dass die Kosten überproportional gestiegen sind. Selbst wenn man davon ausgeht, dass Vertragsbedienstete die Inflationserhöhungen von durchschnittlich 2,47 Prozent abgegolten bekommen haben, liegt der Stundensatz in der Werkstatt noch immer rund 25 Prozent höher als die eigene Gehaltsentwicklung.
Zum Vergleich: Laut Statistik Austria liegt der derzeitige durchschnittliche Nettostundenlohn  eines erwerbstätigen Österreichers, inklusive Urlaub, Sonderzahlungen, Krankentage und Co bei ungefähr 12,50 Euro. Wer also sein Auto reparieren lässt, muss rund zehn Stunden selbst schuften, bevor die Werkstattstunde verdient ist. Eine pikante Misere – für beide Seiten.

Klare Worte
Friedrich Nagl, Bundesinnungsmeister der Kfz Techniker, findet im Interview klare Worte: „Die Schmerzgrenze ist nicht nur erreicht, sie ist bereits überschritten.“ Angesprochen darauf, wie es sein kann, dass die Teuerungsrate im Betrieb das Doppelte der Inflation ausmacht, kennt Nagl ebenfalls die Antwort: „Da gibt es mehrere Gründe: Zum einen die Lohnnebenkosten. Diese betragen 104 Prozent. Wenn ein Betrieb seinem Mitarbeiter drei Prozent mehr bezahlt, dann kostet ihn das sechs Prozent. Möchte der Betrieb selbst noch etwas verdienen, müsste die Erhöhung bei rund acht Prozent liegen. Und das, bei nur drei Prozent mehr Lohn für den Mitarbeiter. So gesehen haben die Betriebe in den letzten zehn Jahren gar nicht alle Kosten weitergegeben, sondern einen Teil selbst geschluckt.“ Die Wirtschaftskammer bestätigte uns, dass für einen Euro mehr Lohn der Betrieb zwei Euro aufwenden muss. Wobei in den Stundensätzen nicht nur der Mechanikerlohn der Preistreiber ist, sondern alle Betriebskosten miteingerechnet werden müssen. „Neben den Lohnkosten sind auch die Investitionskosten gestiegen. Zudem sind moderne Fahrzeuge immer komplexer. Dadurch muss auch die Aus- und Weiterbildung der Mitarbeiter forciert werden – das kostet auch viel Geld“, so Friedrich Nagl.

Rahmenbedingungen ändern
Erik Papinski, Bundesinnungsmeister der Karosseriebautechniker sieht es ähnlich wie Nagl: „Die Lohnnebenkosten machen Österreich zunehmend unattraktiver als Wirtschaftsstandort. Man bedenke, dass sogar die Raiffeisen und die Voest offen über Abwanderung sprechen.“ Papinski sieht ebenfalls die Schmerzgrenze für die Kunden erreicht: „Ja, eindeutig. Denn man darf nicht vergessen, dass alle Mehrkosten schlussendlich vom Endkunden getragen werden. Sei es bei der Butter oder in der Werkstatt.“ Daher, so Papinski und Nagl, müssen endlich die Rahmenbedingungen durchforstet und geändert werden. Die hohen Lohnnebenkosten sind nicht nur eine Belastung für die Betriebe, sondern auch für die Arbeitnehmer, da von den Gehaltserhöhungen oftmals weniger als die Hälfte ankommt. Liegt der Ball daher bei der Politik? Ja, zu einem Großteil. Aber nicht nur, wie Papinski weiter ausführt: „Vermutlich kalkulieren einige Betriebe auch nicht ganz korrekt. Aber das kann man ihnen kaum vorwerfen, da gerade die kleineren und mittleren Betriebe kaum die Kapazitäten haben, sich neben ihrem Hauptgeschäft noch mit Bankverhandlungen und detaillierten Kostenkalkulationen zu beschäftigen. Dafür fehlt weniger das Verständnis, als vielmehr die Zeit.“ Friedrich Nagl sieht großen Handlungsbedarf: „Um eine korrekte Kalkulation als Betrieb vornehmen zu können, müssen viele Aspekte wie Gewerbeordnung, Sozialversicherungswesen, steuerliche Gegebenheiten usw. eingerechnet werden. Doch wer hat die Zeit dafür? Noch dazu, wo sich all diese Faktoren stetig ändern.“

Und jetzt?
Erik Papinski plädiert für eine grundlegende Neuorganisation. „Man schaue nach Amerika. Dort ist das Steuersystem deutlich einfacher als bei uns, und es funktioniert trotzdem. Wir müssen das ganze System durchforsten und bereinigen. Das würde viel helfen.“ Friedrich Nagl sieht die Betriebe in der Zwickmühle: „Die Kfz-Betriebe können die Mehrkosten gar nicht mehr an die Kunden weitergeben, weil die Schmerzgrenze schon überschritten ist. Daher stehen sie auf der Investitionsbremse, was langfristig zu einem Wettbewerbsnachteil führen kann.“ Ein Allheilmittel hat Nagl nicht parat, aber einen gutgemeinten Ratschlag: „Man kann sich zutode sparen und zutode investieren. Das Ziel ist der gesunde Mittelweg. Vernünftig kalkulierte Preise aber nur kein Wucher oder Dumpingangebote.“ Denn diese würden die gesamte Branche nachträglich schädigen. Und das kann sich derzeit keiner leisten.