Test Yamaha Tracer 900 - Die Naked-Touren-Supermoto

Test
14.04.2019

Von: Philipp Bednar
Vor jedem Test stelle ich mir zwei Fragen: Welchen Helm und welches Outfit trage ich für die Fahrfotos? Denn je nachdem ob Ledereinteiler, MX-Helm oder Kevlar-Jeans, versuche ich dem Leser einen Eindruck zu vermitteln, wofür das Bike gedacht ist. Bei der Yamaha Tracer 900 verschwimmen die Zweiradsegmente aber so arg miteinander, dass ich fast sagen möchte: Die Eine für alles.

Ergonomie 

Die Yamaha Tracer 900 wirkt auf den ersten Blick wie eine straßenbereifte Reiseenduro, eine kompakte Stelzensportlerin. Tatsächlich ist sie jedoch mehr hochgestelltes Nakedbike als Tourenmoped. Zumindest in Sachen Ergonomie. Der Lenker ist nicht übermäßig breit und angenehm gekröpft, die Sitzposition aufrecht, der Kniewinkel entspannt. Man thront schön zentral teils in, teils auf der Yamaha. Spürbar weniger aggressiv als auf der Yamaha MT-09. Wobei ich die Sitzposition der MT-09 als nicht typisch für ein Nakedbike empfinde. Egal. Kurz: Man sitzt richtig gut auf der Tracer 900. Aktiv, aber nicht übermotiviert. Der Windschild tut, was er soll: Windschatten bieten ohne die Sicht zu behindern. Angenehm: Die gute Verbindung vom Unterkörper zum Bike. Die Sitzbank ist angenehm bequem und bietet genug Rückmeldung. In Sachen Ergonomie eine glatte Eins. 

Handling

Eines vorweg: Ich bin kein riesiger Fan der Yamaha MT-09, da ich mit dem Handling des Nakedbikes nie 100 prozentig warm geworden bin. In letzter Konsequenz hat mir das Feedback gefehlt, um mich mit gutem Gewissen an die Haftgrenzen der Gummis heranzutasten. Es war Mut gefragt, den ich ausschließlich auf abgesperrter Strecke auslote. Auf der Straße fehlt mir im MT-09-Sattel schier der Speed. Ganz anders mit der Tracer 900. Sie mag zwar der MT-09 entspringen, fühlt sich aber komplett anders an. Das eigenwillige Einlenkverhalten des Nakedbikes gibt es im Tracer-Sattel nicht. Die Yamaha biegt wunderbar neutral über das Vorderrad ein und bietet dabei viel Rückmeldung. Über den nicht zu breiten Lenker hat man stets das Gefühl, Herr über das Haftungsniveau des Vorderradgummis zu sein. Durch diese Neutralität stellt sich bereits nach wenigen Kurven ein hohes Maß an Vertrauen ein. Die Richtungswechsel gehen nach kurzer Eingewöhnungsphase kinderleicht von der Hand. Ein kleiner Druck am Lenker und die Tracer 900 legt sich sanft in die Kurve. Sie ist weder hyperagil noch stur, sondern wirklich im wahrsten Wortsinn neutral. Dabei macht es keinen Unterschied, ob man auf engen langsamen Passtraßen oder flotten, weiten Autobahnkurven unterwegs ist. Ein Highspeedpendeln kennt die Tracer 900 nicht. 

Motor / Getriebe

Der 847 Kubik-Dreizylindermotor ist auf der Landstraße eine echte Wucht. Mit 115 PS und knapp 88 Newtonmetern Drehmoment ist man stets ausreichend mit Leistung versorgt und kann problemlos auch mal schaltfaul durch die Stadt cruisen. Dabei agiert der Dreizylinder weich und gut dosierbar. Das Bissige von der MT-09 ist gemildert, trotzdem ist das erste Gasanlegen - für mich - noch immer nicht perfekt abgestimmt. Zwar wirkt es deutlich besser als damals mit der MT09, aber gerade beim Hinterradfahren könnte das Feedback auf dem ersten Gasaufdreher etwas linearer sein. Die Gasannahme lässt sich je nach Modus bequem via linker Lenkerarmatur verstellen. Das Getriebe präsentiert sich unspektakulär gut, die Anti-Hopping-Kupplung werkt brav und die Schaltvorgänge gelingen zügig und präzise. Kurz um: Das Antrieb ist für gemütliche Tourenfahrer wie für andrückende Hausstreckenkaiser bestens geeignet. Die Leistung wird notfalls via Traktionskontrolle gekappt. Mit etwas Gefühl im rechten Handgelenk ist das aber kaum notwendig. Der Verbrauch war überraschend niedrig. 

Fahrwerk

Der erste Eindruck vom Fahrwerk ist unauffällig. Das dämpft brav, das spricht sauber an, nicht knochig, gibt genug von der Fahrbahn weiter, um immer flotter zu werden. Natürlich taucht die Gabel etwas ein beim harten Anbremsen, natürlich bekommt man das Federbein bei sehr flotter Gangart etwas zum Nachschwingen, aber im Grunde liegt die Tracer 900 stets solide und gut ausbalanciert auf der Straße. Die Gabel ist verstellbar (Vorspannung und Zugstufe), das Federbein ebenfalls in der Vorspannung. Erst wenn der Reiter sehr motiviert spät in die Kurve sticht und wirklich hart Anbremst und ebenfalls hart aus der Ecke rauspfeffert, stößt man mit dem Serienfahrwerk an die Grenzen. Dann fängt das Federbein an zu pumpen und die Gabel wird immer weicher. Aber dann ist der Tracer 900-Fahrer bereits in einem Bereich, wo in jeder Ecke die Fußrasten schleifen. Die Schräglagenfreiheit ist ausreichend, könnte aber grundsätzlich noch etwas höher ausfallen. 

Bremsen

Eine Doppelscheibe mit jeweils 298-mm-Durchmesser und Radialbremszangen sorgen an der Front für sicheren Stillstand. Das ABS werkt dabei nicht ultrafein aber für den Alltag absolut ausreichend. Die Regelintervalle könnten einen Tick kürzer sein und das Pumpen am Bremshebel weniger, aber für diese Motorradklasse ist das vollkommen zufriedenstellend. Das Gefühl am Bremshebel ist gut, der Druckpunkt bleibt recht lange knackig. Erst bei sehr flotter Gangart lässt die Bremse etwas nach und Fading macht sich bemerkbar. Es ist beim Bremsen kaum ein Aufstellmoment zu verzeichnen. Gut für Spätbremser, die bis zum Scheitel ankern wollen. Die Hinterradbremse hat sich vor allem in der Stadt ausgezeichnet. Die 245-mm-Scheibe stoppt sicher und quietscht auch nicht, die Dosierung ist tadellos. 

Aufgefallen

Dass sich die Tracer 900 gänzlich anders fährt als ihre Schwester MT-09 - und zwar besser, neutraler, ausgewogener. Sie ist das stimmigere, alltagstauglichere Gesamtkonzept. Die gute Verarbeitung.

Durchgefallen

Die Handguards verdienen ihren Namen einfach nicht, einen Unfall möchte man mit den filigranen Plastikteilen nicht haben. Über die Optik der Tracer 900 lässt sich streiten. 

Testurteil Yamaha Tracer 900, by p.bednar

Mehr Infos zur Yamaha Tracer 900

Mit freundlicher Unterstützung von TOTAL Austria

Mehr Actionfotos der Testfahrten gibt es auf Instagram: apex_moto_at

Oder folgt uns auf Facebook: Apex-Moto