Nachlese: E-Mobilität in der freien Autowerkstatt

In einem gut besuchten Webinar des Österreichischen Wirtschaftsverlags erklärte Hochvolt-Experte Deniz Kartal, welche Kompetenzen freie Werkstätten benötigen, um Kunden mit Hybrid- und Elektroautos nicht weiterschicken zu müssen. Hier der Link zum Video und die Nachlese.
Ausgebauter Hochvolt-Akku am Elektroarbeitsplatz
Ausgebauter Hochvolt-Akku am Elektroarbeitsplatz

Mit über 100 Teilnehmern war das jüngste Webinar des Österreichischen Wirtschaftsverlages ein voller Erfolg. Das hoch aktuelle Thema sprach nicht nur zahlreiche Kfz-Techniker und Werkstattbetreiber an, sondern auch Werkzeug-, Zubehör- und Ersatzteilhändler aus der Automobilbranche. Der Hintergrund: Die Zahl der E-Fahrzeuge auf Österreichs Straßen steigt rasant, im März dieses Jahres war der batterieelektrische Tesla Model 3 sogar der meistverkaufte Pkw in Österreich. KFZwirtschaft Chefredakteur Hans-Jörg Bruckberger moderierte, Deniz Kartal, Hochvolt-Trainer und Geschäftsführer der Evalus Gmbh für Arbeitssicherheit und Gesundheitsschutz, beantwortete die wichtigsten Fragen, die im Zuge der Auf- und Umrüstung einer Werkstatt für elektrifizierte Fahrzeuge auftreten. Der Link zum Video: https://youtu.be/EwQEFLysWfE

Welches Knowhow und welche Zertifizierungen benötige ich bzw. meine Mitarbeiter, um an Hochvolt-Fahrzeugen Reparaturen und Wartungen durchführen zu dürfen?

Grundsätzlich gilt: Nur speziell ausgebildetes Fachpersonal darf Wartungen, Reparaturen und andere Service-Leistungen an Elektrofahrzeugen durchführen. Ohne die entsprechende Qualifizierung darf ein Kfz-Techniker bei einem elektrifizierten Pkw nicht einmal die Reifen wechseln. Der Grund: Hochvoltsysteme umfassen einen Spannungsbereich von 60 bis 1500 Volt Gleichspannung (DC) oder 30 bis 1000 Volt Wechselspannung (AC). Ein Berührungskontakt mit dem Hochvolt-Stromkreis kann tödliche Folgen haben. Die Ausbildung gliedert sich in drei aufeinander aufbauende Stufen:

HV 1: Mit dieser Ausbildungsstufe dürfen alle nichtelektrotechnischen Arbeiten am Fahrzeug wie Ölwechsel, Reifentausch oder Karosseriearbeiten sowie alle Arbeiten am konventionellen Bordnetz durchgeführt werden.

HV2: Mit dieser Ausbildungsstufe dürfen Fahrzeuge mit Hochvoltsystemen spannungsfrei geschalten, Maßnahmen gegen ein Wiedereinschalten gesetzt, die Spannungsfreiheit festgestellt und elektrotechnische Arbeiten durchgeführt werden. Außerdem dürfen innerbetrieblich andere Mitarbeiter für nichtelektronische Tätigkeiten unterwiesen werden.

HV3: Mit dieser Ausbildungsstufe dürfen auch Arbeiten unter Spannung am Energiespeicher von elektrisch betriebenen Straßenfahrzeugen mit Hochvoltsystemen durchgeführt werden.

Wie erkenne ich die Hochvolt-Komponenten im Fahrzeug?

Alle Hochvoltkomponenten und –systeme sind mit gelben Hinweisschildern „Achtung gefährliche Spannung“ gekennzeichnet, die entsprechenden stromführenden Kabel sind orange gefärbt. Zu den Hochvoltsystemen zählen Hochvoltakku, Elektromotor, Leistungselektronik, Klimakompressor, Heizung und Wandler für das Bordnetz. In Fahrzeugen, deren Elektromotoren mit Permanentmagneten ausgestattet sind, verbieten spezielle Hinweisschilder außerdem die Annäherung von Personen mit Herzschrittmachern.

Welche gewohnten Tätigkeiten fallen bei einem Elektrofahrzeug weg, welche kommen hinzu?

Es fallen weg: Öl- und Ölfilterwechsel, Zündkerzenwechsel, Luftfilterwechsel, Zahnriemenwechsel, Reparaturen an Kupplung und Abgasanlage.

Es kommen hinzu: HV-Komponententausch, Elektrische Messungen, Wartungsarbeiten am HV-Akku, Batteriemodultausch, Kontrolle Ladeequipment, HV-Diagnose.

Welche Anforderungen ergeben sich für den Arbeitgeber?

Die wichtigsten Punkte des ArbeitnehmerInnenschutzgesetzes, welche KFZ Werkstätten betreffen, sind in der ÖVE Richtlinie R19 zusammengefasst:

  • Stand der Technik: Arbeitgeber haben sich unter Berücksichtigung der bestehenden Gefahren über den neuesten Stand der Technik zu informieren.
  • Unterweisung: Arbeitgeber sind verpflichtet, für eine ausreichende Unterweisung der Arbeitnehmer über Sicherheit und Gesundheitsschutz zu sorgen.
  • Feststellung der Eignung von Arbeitnehmern: Arbeitgeber haben bei der Übertragung von Aufgaben an Arbeitnehmer deren Eignung in Bezug auf Sicherheit und Gesundheitsschutz zu berücksichtigen.
  • Arbeitsplatzevaluierung: Arbeitgeber sind verpflichtet, die für die Sicherheit und Gesundheit der Arbeitnehmer bestehenden Gefahren zu ermitteln und zu beurteilen.

Welche Anforderungen muss ein Arbeitsplatz für Elektrofahrzeuge erfüllen?

Der Elektroarbeitsplatz muss durch eine Absperrung mittels Signalband deutlich gekennzeichnet sein, auf das Dach des E-Fahrzeugs wird zudem ein Warndreieck mit Blitzsymbol gestellt. Auch ein Batterie-Arbeitsplatz muss deutlich gekennzeichnet und für unbefugte Personen abgesperrt sein.

Welche technische Ausstattung, Schutzausrüstung und Werkzeuge werden benötigt?

Zu den wichtigsten Werkzeugen gehören speziell für Elektroautos entwickelte Prüfgeräte zur Messung von Gleich- und Wechselspannung, für die Widerstands- und Durchgangsprüfung sowie für Diodentests und die kontaktlose Spannungsprüfung. Alle Handwerkzeuge wie Schraubenschlüssel oder Zangen müssen für Arbeiten unter Spannung bis 1.000 Volt (AC) und 1.500 Volt (DC) geeignet und entsprechend isoliert sein. Alle Mitarbeiter, die an Elektrofahrzeugen oder Komponenten arbeiten, müssen geeignete Schutzkleidung tragen, die unter anderem aus einer antistatischen Hose und Bundjacke besteht. Dazu gehören Sicherheitsschuhe der metallfreien Sicherheitsklasse S3 und zuverlässige Spannungsschutz-Handschuhe. Um vor Störlichtbögen geschützt zu sein, wird auch ein Gesichtsschutz benötigt.

Welche Ausbildungsrichtlinien gelten aktuell für die Hochvoltausbildung in Österreich?

Die aktuell gültige Richtlinie ÖVE R19 wird gerade novelliert und soll im Laufe des 2. Quartals 2021 von einer neuen Richtlinie abgelöst werden. In dieser wird die dreistufige Ausbildung für Werkstatt-Mitarbeiter beibehalten, zusätzlich wird eine Stufe 0 eingeführt, auf der das Wissen um die Bedienung von Elektrofahrzeugen inklusive Ladetechnik vermittelt wird.

Mit welchem Zeit- und Kostenaufwand ist bei der Ausbildung der Werkstattmitarbeiter zu rechnen?

Die Ausbildungsstufe 1 dauert bis zu vier Unterrichtseinheiten, die in einem halben Tag absolviert werden. Die Ausbildungsstufen 2 und 3 umfassen jeweils 16 Unterrichtseinheiten an zwei vollen Tagen. Die Kosten für die Ausbildungsstufen 2 und 3 liegen jeweils bei rund 500,- Euro.

Welche Investitionen sind für die Einrichtung eines Elektroarbeitsplatzes notwendig?

Abhängig von der Werkstattgröße ist mit rund 5.000 bis 10.000 Euro inklusive Werkzeug, Messgeräte, Hinweisschildern und Absperrungen zu rechnen.

Wie kommt man als freie Werkstatt zu den Herstellerinformationen für Elektrofahrzeuge?

Die Hersteller stellen diese Informationen auf Plattformen zur Verfügung. Der Zugang, beispielsweise zu den Reparaturanleitungen, ist über ein Abo-Modell oder ähnliches geregelt.  

Wie werden Elektrofahrzeuge, die nicht mehr repariert werden können, korrekt entsorgt?

In Österreich ist die Entsorgung von Elektrofahrzeugen im Abfallwirtschaftsgesetz und in der Altfahrzeugregelung festgelegt. Ein Spezialist auf diesem Gebiet ist die Firma Saubermacher, die mit dieser Thematik bereits viel Erfahrung gesammelt hat.